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15. Februar 2021

Das „Meidlinger L“ – Einem Sprachmythos auf der Spur. Teil 1: Phonetische und dialektologische Perspektiven

Dieser erste von zwei Beiträgen zum „Meidlinger L“ beschäftigt sich mit seiner phonetischen, also lautlichen Beschreibung sowie seiner Verbreitung in den ostösterreichischen, ostmittelbairischen Dialekten.

„L wie Meidling“? – Das „Meidlinger L“ als Projektionsfläche

Das „Meidlinger L“ gilt als besonders auffälliges, für den Wiener Dialekt (stereo‑)typisches Phänomen: Wer sich mit dem Wiener Dialekt identifiziert, diesen Dialekt sprechen (oder imitieren) möchte, sollte es produzieren, so wie es der prototypische Sprecher des Wienerischen, die Kunstfigur Mundl Sackbauer tut oder wie es der Sänger Roman Gregory mit seinem Publikum zuweilen übt (bei 01:30). Wer jedoch nicht mit dem Wiener Dialekt assoziiert werden möchte, sollte es vermeiden. Auf Grund dieser soziosymbolischen Funktion und den Mythen, die sich rund um die Entstehung des „Meidlinger L“ ranken, eignet es sich bestens als Projektions- und Identifikationsfläche. Für die Junge Generation in der SPÖ Meidling ist es etwa auf Grund seiner angeblichen Entstehungsgeschichte (aus dem Tschechischen entlehnt) „das Paradebeispiel für ein gegenseitig bereicherndes Miteinander“, weshalb sie rund um den Gemeinderatswahlkampf 2015 die Aufnahme des Lautes ins UNESCO Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Österreich forderte.

In dieses Bild fügt sich ein, dass das „Meidlinger L“ häufiger in publizistischen Texten erwähnt wird als in wissenschaftlichen. Entsprechend wenig gesichertes Wissen gibt es dazu – insbesondere, wenn die Geschichte und Entwicklung des Phänomens beschrieben werden soll. Und so hat sich die Idee, dass es sich um ein von Tschechischsprachigen im 19. Jahrhundert nach Wien gebrachtes Phänomen, also einen aus dem Tschechischen entlehnten Laut handelt, etabliert und wird von Zeit zu Zeit diskutiert.

In diesem Blog sowie dem nächsten, im März erscheinenden, fassen wir den aktuell gesicherten Kenntnisstand zusammen. Dies tun wir – in dieser Reihenfolge – aus phonetischer, dialektologischer und kontaktlinguistischer Perspektive. In diesem ersten Teil erwartet Sie eine Einführung in die erstaunliche Vielfalt der „L“-Laute, sowie eine Beschreibung des „Meidlinger L“ im Kreise seiner Verwandten in anderen ostmittelbairischen Dialekten in Österreich. Wir möchten im ersten Teil dieses Blogs die folgenden Fragen beantworten:

  • Wie kann das „Meidlinger L“, wie es im 21. Jahrhundert gesprochen wird, phonetisch beschrieben werden?
  • Wo und von wem wird es verwendet?

 

Was allen „L“-Lauten gemeinsam ist

Aus phonetischer Perspektive haben – trotz vieler Unterschiede – alle Arten des „L“ ein Merkmal gemeinsam: Bei ihrer Aussprache wird an einer Stelle im Mund ein Verschluss gebildet, an dem die Luft an einer oder beiden Seiten vorbeiströmt. Daher tragen sie in der Phonetik den Namen „Laterale“, also etwas frei aus dem Lateinischen „die Seitlichen“. Der Verschluss wird in vielen Fällen mit der Zungenspitze oder dem Zungenblatt an oder knapp hinter der oberen Zahnreihe am Zahndamm gebildet.

Im Gegensatz zu den Plosiven (wie etwa „P“, „T“, K“) wird der Luftstrom bei der Aussprache von „L“-Lauten jedoch zu keinem Zeitpunkt komplett blockiert. Deshalb werden sie in der phonetischen Fachsprache auch als laterale Approximanten bezeichnet. Diese Laute zeichnen sich außerdem durch eine hohe Sonorität aus, sofern sie stimmhaft, also mit Stimmlippenschwingung, gebildet werden. Das bedeutet, dass sie den Vokalen (Selbstlauten) sehr ähnlich und vielen anderen Konsonanten (Mitlauten) sehr unähnlich sind: Bei „L“-Lauten kann der Luftstrom relativ ungehindert entweichen und erzeugt dabei wenig Rauschanteil am Sprachschall.

Das ist die grundsätzliche Gemeinsamkeit aller „L“-Laute. Wie wir gleich sehen werden, kann der Verschluss jedoch an verschiedensten Stellen im Mund und mit verschiedensten Teilen der Zunge gebildet werden. Einige möchten wir Ihnen in der Folge vorstellen.

Das helle „L“ – [l]

 Versuchen Sie zunächst, das Wort „Liebe“ oder „Lied“ auszusprechen, und halten Sie das „L“ am Anfang! Vermutlich liegt Ihre Zunge jetzt an der in der Abbildung markierten Stelle, also am Zahndamm, den sogenannten Alveolen. In diesem Fall handelt es sich um einen sogenannten „alveolaren“ Lateral, welcher relativ „hell“ klingt. Die Phonetik notiert diesen Laut im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA) zur eindeutigen Kennzeichnung mit [l].

Die hinteren „L“-Laute – [ʎ] oder [ʟ]

Die Position, an der der Verschluss gebildet wird, kann sich aber, wie bereits gesagt, je nach der lautlichen Umgebung ändern. Wenn etwa ein „K“ oder „G“ dem „L“ vorangeht, wie z. B. im Wort „Glocke“ wird der Verschluss meist an den Artikulationsort des „G“ angepasst: Der Zungenrücken wird dann nicht an die Alveolen, sondern etwas weiter nach hinten verschoben und an den Gaumen gepresst.  Je nachdem, wie weit die Verschlussbildung dabei nach hinten verschoben wird (auch abhängig von den folgenden Vokalen), wird es entweder als palataler Lateral bezeichnet [ʎ], oder als velarer Lateral [ʟ].

   

Das „L“ im Kürbiskernöl

 Ein weiteres „L“ begegnet uns in österreichischen Varietäten des Deutschen zuweilen, nämlich wenn dem „L“ ein Hinterzungenvokal – also ein „U“, „O“ oder „A“– bzw. ein – „B“ vorangeht. Dann tritt häufig der Fall ein, dass die Zunge zur Bildung des Verschlusses zurückgebogen wird. Solche retroflexe Laterale [ɭ] sind übrigens auch weithin bekannt als Merkmale von einigen steirischen und burgenländischen Dialekten, denn hier treten sie auch nach allen anderen Selbstlauten auf, etwa in „Öl“ oder „helfen“.

Die akustische Seite von „L“-Lauten

Wie bereits erwähnt, sind „L“-Laute in den meisten Sprachen und in allen hier vorgestellten Varianten grundsätzlich stimmhaft, sprich: die Stimmlippen erzeugen wie bei Selbstlauten gleichmäßige Schwingungen. Und ebenfalls wie im Falle der Selbstlaute ist der Klangeindruck eines Laterals nicht nur vom Ort abhängig, an dem der Verschluss gebildet wird. Auch die genaue Stellung von Zunge und Kiefer ist relevant, da mit der Zunge etwa durch Verengung im Mundraum Resonanzräume geschaffen werden können.

Durch solche Veränderungen des Resonanzraums kommen bestimmte Bereiche des Frequenzspektrums relativ stärker zu tragen. Diese Frequenzbereiche werden in Phonetik als Formanten bezeichnet und sind in der Regel vom niedrigsten beginnend durchnummeriert – F1, F2, F3 usw. Für die Unterscheidung von unterschiedlichen Selbstlauten und auch von „L“-Lauten sind die ersten drei Formanten die wichtigsten.

Für ihre Analyse ziehen wir ein bildgebendes Verfahren heran – das Spektrogramm, in dem die Intensität einzelner Frequenzbereiche in einem akustischen Signal über die Zeit dargestellt werden. Formanten können hier als dicke „Balken“ erkannt werden. (Dazu gab es in diesem Blog auch schon einen Beitrag.) Sehen wir uns einmal die kurze Äußerung „er liest“ einer jungen Frau aus dem Ort Kautzen im niederösterreichischen Waldviertel an:

 

Wir haben die ungefähre Lage des ersten Formanten F1 rot eingefärbt, F2 grün und F3 blau. Vor und nach dem alveolaren [l] sind gut die Formantstrukturen der angrenzenden Vokale zu erkennen. Unser [l] unterscheidet sich von ihnen zunächst einmal durch einen etwas geringeren Schalldruck. Es ist weniger laut, was daran zu erkenn ist, dass es im Spektrogramm blasser dargestellt wird. Außerdem hat ein typischer alveolarer Lateral einen relativ tiefen F1 (bei ca. 250 Hz), einen F2 von ca. 1800 Hertz und einen F3 von ca. 3000 Hz.

Gemma „Meidlinger L“ schauen

 Mit diesem Vorwissen zur artikulatorischen und akustischen Seite von „L“-Lauten nun aber zurück zur Ausgangsfrage: Was ist denn jetzt eigentlich mit dem „Meidlinger L“? Bei diesem kommt ein anderer Teil der Zunge ins Spiel: Während wir mit der Spitze unserer Zunge den Verschluss an den Zähnen oder dem Zahndamm bilden, können wir nämlich unseren Zungenrücken relativ frei bewegen. Drücken wir ihn beim Sprechen eines [l] nach unten und hinten, wie auf dem folgenden Bild gezeigt, verändern wir die akustischen Eigenschaften des Mundraums. Dieser Lateral wird als velarisierter Lateral bezeichnet und klingt „dunkel“. In der phonetischen Transkription bekommt das [l] eine kleine Welle und wird dann wie folgt notiert: [ɫ].

Sehen wir uns nun ein weiteres Spektrogramm an, in dem dieselbe Sprecherin wie schon im obigen Beispiel das Wort „Beutel“ spricht:

 

Am Wortende sehen wir hier ein [ɫ] mit einem deutlich niedrigeren F2 als im ersten Beispiel. Im Mittel liegt er bei ca. 1100 Hertz – also ein Unterschied von rund 700 Hertz zum ersten Beispiel! Der F2 ändert sich, weil der Weg zwischen Stimmlippen und Verschlussbildung an den Alveolen durch die nach hinten gezogene Zunge länger wird. Auch der F1 unterscheidet einen velarisierten Lateral typischerweise von einem alveolaren Lateral, wenn auch nur in geringerem Ausmaß, indem er beim velarisierten Lateral höher liegt, also ca. bei 500 Hz. Der F1 ändert sich besonders, wenn der velarisierte Lateral auch noch eine etwas nach vorne verschobene Verschlussbildung hat (an den Zähnen).

Dieser Unterschied ist auch gut hörbar. Damit können wir unsere Ausgangsfrage beantworten: Aus phonetischer Sicht ist das „Meidlinger L“, wie es im 21. Jahrhundert gesprochen wird, ein velarisierter Lateral.

An Stellen wie der obigen fühlt er sich prinzipiell am wohlsten: Am Wortende und allein Träger einer ganzen Nebensilbe – das „e“ aus der schriftlichen Form wird in der gesprochenen Sprache fast immer weggelassen, in der Standardsprache wie im Dialekt. Für den Wiener Dialekt und damit das „Meidlinger L“ ist nun das Außergewöhnliche, dass es auch am Silben- und sogar Wortanfang auftreten kann.

Freilich liegt der Fall nicht immer so eindeutig wie in unserem Beispiel: Dank der Flexibilität der menschlichen Zungen lassen sich beliebig viele Zwischenstufen erreichen und der Grad der Velarisierung nach Belieben einstellen. Insofern ist zu bedenken: Was für die eine Person bereits velarisiert klingt, kann für eine andere Person völlig unauffällig sein.

Das „Meidlinger L“ zwischen Stigma und Symbol

 Und damit kommen wir zur zweiten Frage: Wie weit ist unser velarisiertes, „Meidlinger“ [ɫ] verbreitet? Nach derzeitigem Stand hat diese Frage zwei Dimensionen, nämlich nicht nur wo es gesprochen ist, sondern auch, wer es spricht. Was die Stadt Wien betrifft, haben Carolin Schmid und Sylvia Moosmüller (2017) herausgefunden, dass Männer viel häufiger velarisierte Laterale mit tiefen F2-Werten verwenden als Frauen. Das lässt sich gut in der folgenden Grafik erkennen. Darin sieht man, mit welcher Häufigkeit ein bestimmter F2-Wert in den ausgewerteten Lateralen vorkommt. Bei den untersuchten Sprecherinnen liegt dieser Wert sehr häufig um die 1700 Hz und nur selten unter 1400 Hz. Bei den Sprechern hingegen kommen Werte um die 1100 Hz kaum seltener vor als Werte um die 1600 Hz.

Das „Meidlinger L“ wird als eines der auffälligsten Phänomene des Wienerischen erachtet: Sylvia Moosmüller (2016) konnte zeigen, dass Schauspielerinnen, die den Wiener Dialekt nachahmten, von Zuhörer*innen häufiger als authentische Dialektsprecherinnen bewertet wurden, wenn sie das [ɫ] verwendeten, als wenn sie das nicht taten. Die Aussprache eines alveolaren Laterals anstelle eines velarisierten scheint umgekehrt auch effektiv zu sein, um nicht mit dem Wiener Dialekt assoziiert zu werden: Sprecherinnen des Wiener Dialekts wurden nämlich nicht als authentische Sprecherinnen bewertet, wenn sie kein „Meidlinger L“ benutzten. Auch wenn bezogen auf die einzelne Sprecherin die konkreten Gründe für die Vermeidung des velarisierten Laterals verborgen bleiben, liegt die Vermutung nahe, dass viele Sprecherinnen (und auch Sprecher) dies tun, um nicht mit dem Wiener Dialekt in Verbindung gebracht zu werden. Dieser ist Wahrnehmungsstudien zufolge nämlich einer der unbeliebtesten österreichischen Dialekte (vgl. z.B. Moosmüller 1991). Oft wird auch das „Meidlinger L“ explizit als Grund für den negativen Eindruck hervorgehoben.

Das „Meidlinger L“ am Lande

Heißt das also, dass das [ɫ] außerhalb Wiens nicht verwendet wird? Keineswegs, wie unsere Sprecherin aus Kautzen bereits demonstriert hat! Eine kleine Pilotstudie (Rausch-Supola et al. in Druck) hat gezeigt, dass er auch im niederösterreichischen Neunkirchen auftritt. Auf diesen Befunden aufbauend sind wir im Rahmen des SFB-Teilprojekts PP02 gerade dabei, dem [ɫ] in den österreichischen Basisdialekten nachzuspüren.

Die Untersuchung läuft noch, aber für Niederösterreich und den Norden der Steiermark zeichnen sich schon einige Ergebnisse ab: Das [ɫ] kommt, wie im Beispiel „Beutel“, fast durchgängig am Wortende vor. Besonders häufig ist es bei Verkleinerungsformen wie „Apferl“, „Bartl“, „Asterl“ usw. Im internationalen Vergleich überrascht das wenig: Auch im Englischen etwa sind die velarisierten Laterale nach diesem Muster verteilt.

 

Schauen wir uns einzelne Orte genauer an können wir noch einen weiteren Trend erkennen, etwa hier in Kirchberg am Wechsel im südlichen Niederösterreich:

 

Wie in Wien verwenden die beiden Männer aus unserem Korpus eher das velarisierte [ɫ], und das auch am Wortanfang. Ein gewisser Unterschied zwischen Männern und Frauen ist aufgrund körperlicher Unterschiede im Vokaltrakt zu erwarten, aber hier ist er so groß, dass diese Erklärung allein nicht ausreichend erscheint.

Doch kein reines „Meidlinger L“

Kommen wir abschließend nochmals auf unseren Ausgangspunkt zurück, nämlich auf das „Meidlinger L“ als Projektions- und Identifikationsfläche. In den Köpfen der Menschen scheint es fest mit Wien und dem Wiener Dialekt verknüpft zu sein. Erste Daten zeigen aber, dass dieser Laut – das velarisierte [ɫ] – und das auch in den Positionen im Wort, in denen man bisher dachte, dass es speziell „wienerisch“ sei, aktuell auch in anderen niederösterreichischen Dialekten vorkommt, und zwar insbesondere im Munde von Männern. Über die Geschichte des Lautes sagt uns dies freilich noch nichts, da wir nicht wissen, ob es sich in den letzten Jahren (Jahrzehnten) von Wien ausgehend dorthin verbreitet hat, schon seit längerer Zeit dort vorhanden ist oder sich in jüngerer Zeit selbständig entwickelt hat. Jedoch sind es wichtige Hintergrundinformationen für den zweiten Teil dieses Blogbeitrags: Im März beschäftigt er sich nämlich kritisch mit der Frage, ob das „Meidlinger L“ durch Sprachkontakt mit dem Tschechischen im 19. Jahrhundert entstanden sein kann.

Viele der genannten Aspekte harren noch der Vertiefung, etwa schlichtweg durch die akustische Analyse von mehr Sprachaufnahmen. Aus jüngerer Zeit ist dazu glücklicherweise einiges vorhanden, aber die Auswertung nimmt viel Zeit in Anspruch. Zusätzlich sind weitere Methoden, etwa die Aufnahme von Ultraschallbildern des Mundraums während des Sprechens, in Vorbereitung, die ein noch genaueres Bild von den Vorgängen dort zeichnen können. Ebenfalls sehr kurz gekommen ist die Betrachtung der Wahrnehmungsseite: Was wird als „besonderer“ Lateral, sei es als „Meidlinger L“, „steirisches Bellen“ oder in einer anderen Weise, wahrgenommen? Wer identifiziert welchen Lateral als „besonders“? Denn auch wenn die Lautgruppe der Laterale eine faszinierende Vielfalt aufweist: Grundsätzlich nehmen sie im Deutschen dieselbe Bedeutung ein, egal, ob sie als [l], [ɫ], [ʎ], [ʟ] oder [ɭ] gesprochen werden. Insofern werden sie für die linguistische Forschung noch einige spannende Fragen liefern!

Glossar

Approximant

Approximanten, deutsch Annäherungslaute, sind Sprachlaute, die sowohl Eigenschaften von Konsonanten als auch Vokalen besitzen. Mit den Vokalen haben sie gemeinsam, dass die Luft dem Mund relativ gleichmäßig und ungehindert entweichen kann. Allerdings wird der Artikulationsraum durch die namensgebende Annäherung der Zunge an den Gaumen im Mund stärker verengt als bei den Vokalen, allerdings weniger stark als andere Konsonanten.

Basisdialekt

Als Basisdialekt werden lokale, an einen bestimmten Ortsgebrauch gebundene Dialekte bezeichnet.

Frequenzspektrum

Das Frequenzspektrum gibt an, aus welchen verschiedenen Frequenzen (Schwingungen) ein Signal, in unserem Fall ein Sprachlaut besteht.

Phonetik

Die Phonetik ist die Wissenschaft von den Sprachlauten. Sie unterteilt sich in die artikulatorische, die akustische und die auditive Phonetik. Die artikulatorische Phonetik beschäftigt sich damit, wie Sprachlaute mit den Sprechwerkzeugen – Stimmbänder, Zunge, Lippen usw. – gebildet werden und welche Auswirkungen das dann auf den Sprachschall hat. Die akustische Phonetik untersucht die physikalischen Eigenschaften dieses Sprachschalls, beschäftigt sich also mit der Übertragung. Die auditive Phonetik untersucht die Wahrnehmung des Sprachschalles auf Empfängerseite.

Plosiv

Plosive, deutsch Verschlusslaute, sind Sprachlaute, bei denen im Mund ein Verschluss gebildet wird, der dann explosionsartig gelöst wird und die dahinter angestaute Luft abrupt entweichen kann. Den Verschluss können z. B. bei einem „B“ oder „P“ die Lippen, bei einem „D“ oder „T“ die Zunge am Zahndamm (den Alveolen) oder bei einem „G“ oder „K“ die Zunge am weichen Gaumen (dem Velum) bilden. Plosive sind Konsonanten.

silbentragender Laut

Der silbentragende Laut ist der Kern einer Silbe. Es handelt sich dabei um den Laut mit der höchsten Sonorität (s. unten) in der Silbe und daher meist um einen Vokal.

Stimmtonbeteiligung/ Stimmhaftigkeit

Unter Stimmtontonbeteiligung versteht man, ob die Stimmlippen bei der Produktion des Sprachlautes schwingen oder nicht. Wenn sie schwingen, so ist der Laut stimmhaft. Dies ist etwa bei allen Vokalen der Fall. Sind die Stimmlippen hingegen aneinandergepresst oder weit geöffnet und können daher nicht schwingen, sind die entstehenden Laute, wie z. B. „P“, „T“, „K“, stimmlos.

Sonorität

Sonorität bezeichnet die „Schallfülle“. Um eine hohe Schallfülle zu haben, muss ein Laut zunächst einmal stimmhaft sein. Je ungestörter die Luft bei der Artikulation entweichen kann und je niedriger deshalb der Rauschanteil ist, desto höher ist die Sonorität des Lautes. So haben beispielsweise Vokale die höchste Sonorität, Laterale eine etwas geringere, Nasale eine noch geringere und stimmlose Plosive die geringste.

Soziosymbolik

Sprache bzw. einzelne sprachliche Elemente können besondere, soziale Bedeutungen haben. Werden Sie verwendet, wird die Sprecherin bzw. der Sprecher automatisch einer bestimmten sozialen Gruppe zugeordnet. Dies können geographische Herkunft, soziale Schicht, Bildungshintergrund, Migrationshintergrund, ein spezifisches berufliches Umfeld oder ähnliches sein.

Literatur

Moosmüller, Sylvia (1991): Hochsprache und Dialekt in Österreich. Soziophonologische Untersuchungen zu ihrer Abgrenzung in Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck (= Sprachwissenschaftliche Reihe, Band 1). Wien: Böhlau.

Moosmüller, Sylvia (2016): The strength of stereotypes in the production and perception of the Viennese dark lateral.  In: Jennifer Cramer und Chris Montgomery: Cityscapes and Perceptual Dialectology: Global perspectives on non-linguists’ knowledge of the dialect landscape. Boston/Berlin: de Gruyter Mouton, S. 121–138.

Rausch-Supola, Michaela / Moosmüller, Sylvia / Leykum, Hannah / Schmid, Carolin / Luttenberger, Jan (in Druck): Die Ausbreitung des Wiener velarisierten Laterals: Ein Vergleich Wien – Neunkirchen. In: Michael Pucher, Peter Balazs (Hrsg.): Akustische Phonetik und ihre multidisziplinären Aspekte. Ein Gedenkband für Sylvia Moosmüller. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Schmid, Carolin / Moosmüller, Sylvia/ Kasess, Christian (2017): Geschlechtsspezifische Realisierung des velarisierten Laterals im Wiener Dialekt. In: Sylvia Moosmüller, Carolin Schmid und Manfred Sellner (Hrsg.): Phonetik in und über Österreich (=Veröffentlichungen der Kommission für Linguistik und Kommunikationsforschung, Band 31). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, S. 99–122.

Zu den Autorinnen und dem Autor

Jan Luttenberger hat Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Wien studiert und arbeitet am Institut für Schallforschung in der Forschungsgruppe Akustische Phonetik. Für das Teilprojekt 02 des SFB „Deutsch in Österreich“ hat er in Niederösterreich, Oberösterreich, der Steiermark und dem Burgenland Feldaufnahmen zu den örtlichen Basisdialekten durchgeführt. Momentan ist er mit der phonetischen Auswertung dieser Aufnahmen beschäftigt und untersucht unter anderem Phänomene wie die „Wiener Monophtongierung“ und den velarisierten Lateral in den ostösterreichischen Basisdialekten.

Carolin Schmid ist Doktorandin am Institut für Schallforschung und beschäftigt sich im Rahmen ihrer Dissertation mit den phonetischen Aspekten von Sprachkontakt bei späten bilingualen Sprecher*innen, insbesondere mit der Aussprache der Laterale. Außerdem arbeitet sie im Rahmen der „Sprechstunde für mehrsprachige Kinder mit Verdacht auf Sprachentwicklungsstörungen“ am AKH an einem Projekt zum Phonologieerwerb bei bilingualen Kindern mit Sprachentwicklungsstörung.

Agnes Kim ist im Rahmen von Teilprojekt 06 des SFB „Deutsch in Österreich“ am Institut für Slawistik der Universität Wien als Prae-doc-Assistentin angestellt. Sie arbeitet schwerpunktmäßig zu Aspekten des (historischen) Sprachkontakts zwischen dem Deutschen und Tschechischen.


Zitation
Luttenberger, Jan; Schmid, Carolin; Kim, Agnes (2021): Das „Meidlinger L“ – Einem Sprachmythos auf der Spur. Teil 1: Phonetische und dialektologische Perspektiven.
In: DiÖ-Online.
URL: https://iam.dioe.at/blog/2744
[Zugriff: 29.03.2024]