Warum ist „Mädels“ scheinbar das einzige Wort mit -el Endung, das einen s-Plural hat? Ist es ein Relikt aus der NS-Zeit?

beantwortet von: Katharina Korecky-Kröll

Wie bist du zur (Forschungs)frage gekommen?

Der deutsche Plural von Substantiven interessiert mich schon seit vielen Jahren, weil er ein äußerst variationsreiches Phänomen ist. Ich komme ursprünglich aus der Spracherwerbsforschung und habe mich lange Zeit damit beschäftigt, wie einsprachige und mehrsprachige Kinder den deutschen Plural erwerben und welche Herausforderungen sie dabei meistern müssen.

Wie hast du die Daten gesammelt? Wie bist du zu den Infos gekommen?

Als ich vor einigen Jahren über längere Zeit intensiv in Kindergärten und Schulen mit Kindern Pluraltests durchgeführt habe, sind mir Plurale wie die Büsse (von Bus) oder die Bette auf einmal durchaus logisch und nachvollziehbar erschienen. Ich habe aber nicht nur Tests durchgeführt, sondern auch von zahlreichen Kindern spontane Gesprächsdaten gesammelt, wo man diese Formen auch findet; allerdings kommen sie hier deutlich seltener vor als in den Tests.

Es gibt verschiedene Phasen beim Erwerb des deutschen Plurals: Kleine Kinder im Alter von unter zwei Jahren markieren den Plural oft gar nicht oder maximal durch Zahlwörter (d.h. drei Puppe), oder sie bilden Plurale, die sie in ihrem Input häufig zu hören bekommen (z.B. die Füße, die Hände), zuerst meist korrekt, weil sie sie einfach imitieren bzw. auswendig gelernt haben. Wenn die Kinder dann in ihrer Sprachentwicklung etwas weiter fortgeschritten sind (häufig ab dem Alter von etwa zwei Jahren), machen sie dann plötzlich „Fehler“, was manche Eltern verunsichert. Dabei sind diese Übergeneralisierungen durchaus ein Zeichen für einen Entwicklungsfortschritt: Die Kinder beginnen die häufigsten Muster der deutschen Pluralbildung zu erkennen (dass z. B. -(e)n- und -e-Plurale besonders häufig sind), und sie bilden dann eben genau solche Übergeneralisierungen wie z.B. die Fußen oder die Fuße. Wenn sie noch etwas älter sind, entdecken sie dann auch den Umlaut als Pluralmarker und bilden die Füße wieder standardkonform, aber es treten eben zusätzliche Umlautformen wie die Büsse oder die Hünde auf, die sich oft hartnäckig bis ins Volksschulalter halten. Solche Tendenzen können auch für den Sprachwandel eine Rolle spielen. Ich halte es etwa nicht für ausgeschlossen, dass der Plural die Büsse in 50-100 Jahren vom Duden als standardkonformer Plural gelistet werden könnte. So hat sich auch z. B. der Plural von General ursprünglich aus die Generals über die Generale zu die Generäle entwickelt, wobei die Generale und die Generäle allerdings auch heutzutage noch nebeneinander existieren.

Welche Methode hast du gewählt? Wie bist du an die Frage rangegangen?

In der konkreten Anfrage, die ich für sehr interessant halte, geht es um den -s-Plural bei Wörtern, die auf ein unbetontes -el enden. Neben dem Blick auf meine eigenen Daten habe ich dazu auch zusätzliche Literatur recherchiert.

Woher kommt also der Plural die Mädels?

Der -s-Plural bei Wörtern mit unbetonter -el-Endung ist eigentlich ein Phänomen des Substandards, denn im Duden-Standard bilden maskuline und neutrale Wörter mit unbetonter -el-Endung in der Regel einen Nullplural (also der Igel – die Igel, das Mädel – die Mädel; Ausnahmen sind die Stacheln, die Muskeln und die Pantoffeln), während Feminina mit unbetonter -el-Endung normalerweise einen -n-Plural bilden (die Amsel – die Amseln). Prinzipiell ist das Anhängen einer Pluralendung an Wörter mit Nullplural auch etwas, was aus der Spracherwerbsforschung bekannt ist: Wie auch Experimente gezeigt haben, werden Nullplurale von Kindern (und auch Erwachsenen) als weniger prototypische bzw. weniger natürliche Plurale empfunden (die Theorie der Natürlichen Morphologie nennt das eine Präferenz für Ikonizität, wenn ein Mehr an Form, also eine zusätzliche Endung, auch ein Mehr an Bedeutung, nämlich die Mehrzahl, bezeichnen soll, was bei Nullpluralen eben nicht gegeben ist). Daher findet man auch viele Kinder, die im Lauf ihrer Sprachentwicklung eine Phase durchlaufen, in der sie besonders gerne Plurale wie die Igels oder die Igeln bilden. Es spielt allerdings durchaus eine Rolle, in welcher Region des deutschen Sprachraums das Kind aufwächst, denn die gesprochenen Varietäten des Deutschen zeigen teilweise unterschiedliche Tendenzen der Präferenz von -s- und -n-Pluralen. Während im Norddeutschen der -s-Plural besonders weit verbreitet ist, gibt es im süddeutsch-österreichischen Sprachraum eine ursprüngliche Präferenz für den -n-Plural (so findet man in süddeutschen und österreichischen Quellen auch zahlreiche Belege für die Mädeln).

Die Autorin bzw. der Autor der Anfrage hat also völlig recht damit, den Plural die Mädels als ursprünglich „deutsch“-deutsches Phänomen zu bezeichnen. Eigentlich kommt der -s-Plural aus dem Niederdeutschen und ist daher im norddeutschen Substandard wesentlich verbreiteter als im süddeutsch-österreichischen Substandard. Man findet also vor allem in norddeutschen Quellen besonders zahlreiche Belege für -s-Plurale bei Wörtern auf unbetonte -el-Endung, und zwar nicht nur für Mädels, sondern auch für Kumpels, Bengels, Onkels etc. Doch natürlich gibt es in Österreich viel Sprachkontakt mit dem bundesdeutschen Deutsch und daher auch entsprechende Einflüsse. Die häufig vorkommende Phrase Jungs und Mädels hat vermutlich dazu beigetragen, dass sich gerade der Plural Mädels auch in Österreich besonders gut durchgesetzt hat. Der „Bund deutscher Mädels“, der allerdings offiziell „Bund deutscher Mädel“ hieß, aber im Substandard offenbar häufig als „Bund deutscher Mädels“ bezeichnet wurde, kann bei der Verbreitung des Plurals Mädels natürlich auch eine Rolle gespielt haben, allerdings sind diese Assoziationen inzwischen wohl als höchst negativ anzusehen (wie auch der Autor/die Autorin der Anfrage anmerkt). Ob „der Bund deutscher Mädels“ in der Wahrnehmung heutiger Jugendlicher überhaupt noch eine Rolle spielt, ist aber natürlich fraglich – die Phrase Jungs und Mädels spielt hingegen mit großer Wahrscheinlichkeit im allgemeinen Sprachgebrauch sehr wohl eine Rolle. Es wäre natürlich höchst interessant, diese Frage noch genauer zu erforschen und etwa eine Umfrage zu machen, in der Personen unterschiedlicher Altersgruppen aus Österreich und Deutschland unterschiedliche Plurale bewerten und ihre Assoziationen dazu darlegen.

Beantwortet hat diese Frage:

Mag. Dr. Katharina Korecky-Kröll

Sie ist seit September 2016 Teil des SFB-Teams und als Postdoc zuständig für die Koordination der Datenerhebung von PP03 (Sprachrepertoires und Varietätenspektren). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Psycholinguistik, Variationslinguistik, Morphologie, Morphosyntax und Pragmatik. Sie ist außerdem wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien.