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18. Mai 2018

Datendrang in der Porzellangasse – vom Gebäcksstück bis zur Dankstelle

Ich stöbere in der ORF TV-Thek, sehe mir eine ZIB 2-Sendung dieser Woche an und höre wie Armin Wolf von „schrecklichen Daten" spricht – und „schreckliche Taten" meint. 540.000 Zuseher haben diese Sendung gesehen (und gehört) – doch bin ich wohl eine der wenigen Personen, welcher dieser „Daten"-Sager auffällt und vielleicht sogar die einzige, die er gerade wirklich näher interessiert.

Für das Ohr der meisten österreichischen Sprecher/innen und Hörer/innen ist diese Aussprache vollkommen unspektakulär und gängig, egal ob Dialekt, „Hochdeutsch" oder etwas dazwischen: gesprochen wird eigentlich meistens von einer „Domate" statt der „Tomate", jeder „Paul" heißt dann in Gesprächen eigentlich „Baul" und so manches („gleine"?) Kind schlägt gerne einmal einen „Burzelbaum".  Auch Armin Wolf macht in der ZIB 2 manche „Buchtitel" zu „Buchditeln" und hin und wieder erzählt er dem Fernsehpublikum auch von „Dadsachenberichten". Ist es also auch im österreichischen Standarddeutsch („Hochdeutsch") üblich, dass die meisten <t> als [d],

als [b] und <k> als [g] <span title="< > = Graphem (reine Buchstabenfolge); / / = Phonem (phonologische Umschrift)">(?) ausgesprochen werden? Und wenn ja, tritt dieses Aussprachephänomen in ganz Österreich auf?

Abschlussarbeit im Rahmen des Projekts

Diese Fragen haben mich vor einigen Monaten dazu bewogen, dieses sprachliche Phänomen zu untersuchen und diese Analyse in eine Magisterarbeit zu verwandeln. Schon lange davor war mir klar, dass ich eine linguistische Abschlussarbeit schreiben möchte – ich musste mich nur entscheiden, ob ich in die anglistische oder germanistische Sprachwissenschaft tiefer eintauchen will. Diese Frage war ob meiner gemeinsamen Vergangenheit mit DiÖ schnell beantwortet: Als ich vor ein paar Jahren ein Praktikum an der Germanistik machte, bekam ich Einblicke in den Bewerbungsprozess des Projekts und für die Kick-Off-Veranstaltung im Jänner 2016 durfte ich gemeinsam mit einem Kollegen den Film „Stimmen von der Straße" produzieren. Mit Prof. Dr. Alexandra Lenz, der Leiterin des Projekts, war auch eine Betreuerin für meine Diplomarbeit schnell gefunden, außerdem hatte ich das Glück, dass der SFB zu dieser Zeit eine neue Stelle als studentische Hilfskraft besetzen wollte. Seit Anfang dieses Jahres bin ich also auch offiziell Teil des DiÖ-Teams und kümmere mich gemeinsam mit Johanna Fanta und Barbara Binder um phonetische und phonologische Fragen im Teilprojekt PP03. Seither sind unsere Ohren über unzählige verschiedene Laute gestolpert und so manche davon lösen immer wieder intensive Gespräche oder Diskussionen aus. „Was hörst du hier und wie würdest du es phonetisch transkribieren?", fragen wir einander dann und reichen die Kopfhörer herum, wenn ein /o/ genau zwischen geschlossen ([o]) und offen ([ɔ]) realisiert wird oder sich bei Diphthongen wie <ei> die Frage stellt, ob sie als [aɪ̯], [aɛ̯], [æe̯] oder vielleicht doch als Monophthong ([æː]) ausgesprochen werden. Es bleibt also spannend in unserem Büro in der Porzellangasse und mittlerweile spitzen wir auch im Alltag ständig unsere Ohren, wenn sie mit auffälligen Lauten von Leuten aus verschiedenen Regionen gefüttert werden.

Ausspracheunterschiede österreichischer Sprecherinnen und Sprecher

Und so werden (meist unauffällig) Freunde und Freundinnen, Familie und eben auch Armin Wolf immer wieder unter die akustische Lupe genommen. Er spricht übrigens nicht jedes /t/, /p/ und /k/ „weicher" aus, doch an manchen seiner „Dadsachen" oder „Bolitikern" kann man (trotz seiner professionellen Sprechbildung) gut erkennen, dass er auf jeden Fall im bairischen Sprachraum (mit i) sozialisiert wurde und bei ganz genauem Hinhören ordnet man ihn vielleicht sogar dem südbairischen (Armin Wolf ist in Innsbruck aufgewachsen) Raum zu.

Für meine Magisterarbeit interessiere ich mich aber weniger für Armin Wolf, sondern vielmehr für Sprecherinnen und Sprecher aus ruralen Gegenden Österreichs, die möglichst durchgehend in ihrem Heimatort gelebt haben und auf jeden Fall keine Sprechausbildung haben. Genauer gesagt ist die Datengrundlage meiner Forschung das Korpus von PP03, dessen Erhebungsorte nach bestimmten Kriterien ausgewählt sind und möglichst viel Variation der Sprachräume in Österreich abdecken sollen. Hier werde ich versuchen, einen inter- und intraregionalen Vergleich der Realisierung der Plosivlaute [p] und [t] im Silbenanlaut und intervokalischen Inlaut in der intendierten (österreichischen) Standardaussprache aufzustellen, um so herauszufinden, ob diese Konsonantenschwächung oder Lenisierung eben auch auftritt, wenn die Leute „ihr bestes Hochdeutsch" sprechen, denn ein Blick in die Literatur zu diesem Phänomen verrät schnell, dass es in der alltäglich gesprochenen Sprache des gesamten bairischen Sprachraums auftritt. Der Ausspracheunterschied zwischen Sprecherinnen und Sprechern aus Vorarlberg (Alemannisch), Kärnten (Südbairisch) und Niederösterreich (Mittelbairisch) ist für mich von besonderem Interesse, daher untersuche ich Sprachdaten aus Raggal, Weißbriach und Neumarkt/Ybbs. Um gesprochene Standardsprache zu evozieren, wurden die Gewährspersonen gebeten, einen Text („Nordwind und Sonne") und nach Aussprachekriterien ausgewählte Einzelwörter laut vorzulesen, dialektale Sätze der Wenkerbögen ins „Hochdeutsche" zu übersetzen und Vorgänge, die auf Bildern und Videos zu sehen sind, zu beschreiben. Ursprünglich hatte ich geplant, ausschließlich mit den Vorleseaufgaben zu arbeiten, doch nach kurzer Zeit stellte sich beispielsweise heraus, dass „Nordwind und Sonne", ein beliebter und oft verwendeter Text für Ausspracheerhebungen, für die Untersuchung von anlautenden Plosiven ungeeignet ist, da schlicht und einfach zu wenige

und <T> im Text zu finden sind. Den Laut /k/ habe ich ebenfalls aus meinem Korpus gestrichen, da er sich anders verhält als die anderen beiden und nur in gewissen Lautkombinationen (bspw. vor /l/ und /r/) abgeschwächt wird. Nachdem ich einen guten Überblick über Literatur und Sprachdaten bekommen hatte, entschied ich mich dafür, die Lexemliste (Einzelwörter) und die Wenkersätze näher zu untersuchen und – wenn es die Zeit erlaubt – auch in die Dialektdurchgänge der Erhebungen reinzuhören, um eine brauchbare Gegenprobe zu erstellen, die (so hoffe ich!) auch Schlüsse zwischen Dialekt und Standardsprache (also auf vertikaler Ebene) ziehen lässt. Je nach Datenlage wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden, welche Merkmale zusätzlich analysiert werden (Gibt es Ausspracheunterschiede zwischen Männern und Frauen, zwischen jüngeren und älteren Personen, werden Phänomene in freier Sprache häufiger realisiert als bei vorgelesenen Wörtern,…?). Viele dieser Fragen werden hoffentlich im Laufe der nächsten Monate beantwortet und in meiner Arbeit erläutert werden. Bis dahin schickt mir meine Chefin vielleicht noch mehrere phänomenale Bilder wie das einer bekannten Wiener Bäckerei, die mit dem Slogan "Du backst das!" wirbt, was zeigt, dass Lenisierung nicht nur in gesprochener Sprache auftreten kann.

Zwischenzeitlich könnt ihr nach Lust und Laune selbst etwas tüfteln, ich lasse euch ein kleines Phonetikquiz da, welches von phonetischer Umschrift gerne in Wörter übersetzt werden würde ([g]leiner [d]ipp: [b]asst zum [d]ema ;)

 

Auflösung folgt

Zitation
Tavernier, Florian David (2021): Datendrang in der Porzellangasse – vom Gebäcksstück bis zur Dankstelle.
In: DiÖ-Online.
URL: https://iam.dioe.at/blog/1204
[Zugriff: 23.04.2024]