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15. Oktober 2018

Moi, MiÖ! Vom Warum und Wozu eines Informationssystems zur (historischen) Mehrsprachigkeit in Österreich

 

Die beiden Teilprojekte von Task Cluster C (PP05 und PP06) planen gemeinsam auf der ein Informationssystem zur (historischen) Mehrsprachigkeit in Österreich für die Forschungsplattform des SFB „Deutsch in Österreich“. Kurz wird es „MiÖ“ heißen. Lesen Sie in der Folge über unsere Motivation, ein derartiges Informationssystem zu erarbeiten sowie von der Notwendigkeit, die Gleichsetzung von Nation und Sprache zu hinterfragen und historische Mehrsprachigkeit sichtbar zu machen, um einen neuen Blick auf die gegenwärtige werfen zu können.

Eine Nation – eine Sprache?

Gerade in Zentraleuropa behandelt der nationale Diskurs des 19. Jahrhunderts Sprache(n) als „‚natürlichen‘ Reflex nationaler Identitäten“[i] Richard Böckh, ein deutscher zeitgenössischer Statistiker, schreibt etwa 1866: „Die Sprache ist das unverkennbare Band, welches alle Glieder einer Nation zu einer geistigen Gemeinschaft verknüpft“[ii]. Im Anschluss daran argumentiert er entsprechend, dass eine statistische Erhebung der Nationszugehörigkeit nur über die „Volkssprache“ als gleichsam objektives Merkmal derselben möglich sei.

Das dementsprechende Konzept der „Sprach- und Kulturnation“ wurde mit dem Ende des Ersten Weltkrieges mehr oder weniger in der zentraleuropäischen politischen Gliederung realisiert. In vielen Fällen entsteht durch die Deckungsgleichheit von Staatsnamen mit Sprachbezeichnungen der Eindruck, Staats- und Sprachgrenzen seien ident. Daraus wiederum resultiert eine vereinfachte Vorstellung eines Staates als sprachlich und damit auch kulturell homogener, also einheitlicher Raum. 

Österreich stellt zwar in Bezug auf die Deckungsgleichheit von Staats- und Sprachbezeichnung eine Ausnahme dar[iii] . Dennoch wirkt das Konzept der Sprach- und Kulturnation, dem die Vorstellung einer engen Verknüpfung von Sprache und Kultur zu Grunde liegt, bis heute in den Köpfen der Österreicherinnen und Österreicher nach[iv].

Die Anerkennung von Mehrsprachigkeit

Weltweit und v. a. auch historisch betrachtet ist diese „Norm der Einsprachigkeit“ jedoch gar nicht so normal, sondern vielmehr die Ausnahme[v]. Das gilt auch für Österreich, gerade aufgrund seiner Vergangenheit im sogenannten „Vielvölkerstaat“ der Habsburgermonarchie. Auch Artikel 8 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) der Zweiten Republik Österreich reflektiert die österreichische Geschichte. Gleichzeitig drückt es den beschriebenen Widerspruch zwischen der konstruierten Einsprachigkeit des Staates und der tatsächlichen historischen Mehrsprachigkeit aus:

In ihm bekennt sich die Republik nämlich „zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt“. Diese sind „zu achten, zu sichern und zu fördern“ (B-VG, Art. 8, Abs. 2). Absatz 1 desselben Artikels bringt jedoch ganz klar die Norm des einsprachigen Staates zum Ausdruck: „Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik“ (B-VG, Art. 8, Abs. 1; näheres zu Artikel 8 des B-VG)

Mit schwingt folgende Idee: Die vom B-VG anerkannte Mehrsprachigkeit ist etwas „Gewachsenes“. Sie kann nicht neu entstehen. Aber auch die „gewachsene“, die historische Mehrsprachigkeit Österreichs wurde  im Laufe des 20. Jahrhunderts und bis ins 21. Jahrhundert immer wieder in Frage gestellt und politisch instrumentalisiert wurde. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Kärntner Ortstafelstreit.

 

Die vergessene Mehrsprachigkeit

Der Ortstafelstreit hat die deutsch-slowenische Zweisprachigkeit in Kärnten im allgemeinen Bewusstsein Österreichs gehalten. Doch dass auch in der Südsteiermark und im Südburgenland Slowenisch gesprochen wurde, ist kaum bekannt. Ähnliches gilt für das Burgenlandkroatische: Dass es als Sprache einer autochthonen Volksgruppe in vielen Gemeinden des Burgenlandes als regionale Amtssprache verwendet werden kann, ist geläufig. Dass (Burgenland‑)Kroatisch jedoch seit dem 15. Jahrhundert auch im Marchfeld und über die March hinauf bis nach Südmähren gesprochen wurde[vi], ist es nicht in demselben Maße.

Dazu hat mit Sicherheit auch der Umstand beigetragen (oder ihn bedingt?), dass im Osten Österreichs „Kroatisch“ und „Slowakisch“ oft synonym gebraucht wurden. Daher kann aus heutiger Sicht bisweilen gar nicht entschieden werden, ob in zeitgenössischen Dokumenten eine südslawische (kroatische) oder westslawische (slowakische) Varietät gemeint war[vii]. So werden bis heute die Bewohnerinnen und Bewohner von Orten an der March, direkt an der Grenze zur Slowakei, egal ob slawischsprachig oder nicht, im restlichen Weinviertel oft als „Marchkroaten“ bezeichnet.

Zum Beispiel: Waltersdorf an der March

  Besonders die autochthone slowakische Volksgruppe ist auf Grund verschiedener Faktoren zu einer „vergessenen Minderheit“ geworden[viii]. Dabei gibt es Orte wie Waltersdorf an der March, in denen sich noch bei der Volkszählung 1880, der ersten der Habsburgermonarchie, die auch nach der Umgangssprache fragte, knapp 72% der Bevölkerung zu einer „böhmisch-mährisch-slovakischen“ Umgangssprache bekannten. Die Zahlen sollten bis zum Ende der Habsburgermonarchie auf einen Anteil von etwa 1% zurückgehen. Auf einem Erhebungsbogen für die Nacherhebung zum Deutschen Sprachatlas, der in etwa auf das Jahr 1930 zu datieren ist, finden sich jedoch Angaben, dass „3/4 der Bevölkerung daheim Slovakisch sprechen“ (18751 Waltersdorf a./d. March). Somit kann davon ausgegangen werden, dass bis ins 20. Jahrhundert hinein Slowakisch zu Hause, im familiären Kontext gebraucht wurde.

Mehrsprachigkeit und der SFB „Deutsch in Österreich“

Was haben die Slowakinnen und Slowaken aus Waltersdorf an der March, das Burgenlandkroatische und die Mehrsprachigkeit der Habsburgermonarchie nun mit Deutsch in Österreich im Allgemeinen und dem SFB im Besonderen zu tun? Beide Teilprojekte des Task Clusters C beschäftigen sich mit soziolinguistischen, also die Verwendung von Sprache in der Gesellschaft betreffenden Fragen zum Sprachkontakt des Deutschen in Österreich mit slawischen, aber auch anderen Sprachen. – Eine der Bedingungen für Sprachkontakt ist individuelle und/oder gesellschaftliche Mehrsprachigkeit. Daher sind für uns Beispiele wie Waltersdorf an der March besonders aufschlussreich.

Außerdem gehen wir davon aus, dass die Geschichte des Vielvölker- und Vielsprachenstaates der Monarchie in den Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Zweiten Republik Österreich eingeschrieben ist und auch die Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit beeinflusst. Diese Verbindungen möchten wir offenlegen. Dazu gehört auch, die vergessene Mehrsprachigkeit sichtbar zu machen.

Sowohl PP05 als auch PP06 haben bis zu einem gewissen Grad dokumentarischen Charakter: Sie verknüpfen in sprachwissenschaftlichen und nicht-sprachwissenschaftlichen Unternehmungen entstandene Daten neu, werten sie aus oder machen sie für eine Auswertung zugänglich. Als Plattform dafür dient die im Rahmen von PP11 entwickelte Online-Forschungsplattform des SFB „Deutsch in Österreich“. Ein Teil dieser soll unser MiÖ, das Informationssystem zur (historischen) Mehrsprachigkeit in Österreich sein. Historisch steht Klammern, da zwar in der ersten Phase des SFB „Deutsch in Österreich“ die Teilprojekte aus dem Sprachkontaktbereich historisch-diachron ausgerichtet sind und somit primär historische Daten einspeisen werden. MiÖ als solches ist jedoch als offenes System zu sehen sollund langfristig durch aktuelle Daten erweitert werden.

Sie möchten wissen, wie MiÖ diesen Aufgaben gerecht werden wird? Hier geht es zum Rahmenkonzept und von dort ausgehend zu den einzelnen Modulen.

 

Referenzen

Auer, Peter (2007) (eds.): Style and Social Identities, Alternative Approaches to Language Heterogeneity. Berlin / New York: De Gruyter.

Dorostkar, Niku (2014): (Mehr-)Sprachigkeit und Lingualismus. Die diskursive Konstruktion von Sprache im Kontextnationaler und supranationaler Sprachenpolitik am Beispiel Österreichs. Wien: V&R unipress.

Böckh, Richard (1866): Die Bedeutung der Volkssprache als Kennzeichen der Nationalität. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. 259−402.

Breu, Josef (1970): Die Kroatensiedlung im Burgenland und in den anschließenden Gebieten. Wien: Deutike.

Fleck, Dana (2011): Die Stellung der Slowaken in Österreich – der lange Weg bis zur Anerkennung als eigenständige Volksgruppe. Geschichtlicher Grundriss, Vereinstätigkeit, der Status der Slowaken innerhalb der österreichischen Volksgruppen sowie der Unterricht der slowakischen Sprache bis in die Gegenwart. Universität Wien: Diplomarbeit.

Glauninger, Manfred Michael (2015): „Die Nationalvarietät ‚österreichisches Deutsch‘ als kakanisches Paradoxon“. In: Cwanek-Florek, Eva / Nöbauer, Irmgard (eds.): Sprachliche Wechselbeziehungen in der Habsburgermonarchie. Wien: Polnische Akademie der Wissenschaften. 11–18.

Houtzagers, Peter (2008): “On Burgenland Croatian isoglosses”. In: Houtzagers, Peter / Kalsbeek, Janneke / Schaeken, Jos (eds.): Dutch Contributions to the fourteenth International Congress of Slavists. Ohrid. September 10-16, 2008. Linguistics. Amsterdam / New York: Rodopi. 293–331.

Schendl, Herbert (2012): “Multilingualism, Code-Switching, and Language Contact in Historical Sociolinguistics”. In: Hernández-Campoy, Juan Manuel / Conde-Silvestre, Juan Camilo (eds.): The Handbook of Historical Sociolinguistics. Blackwell. 520–533.


[i] Vgl. Auer 2007: 1.

[ii] Böckh 1866: 304.

[iii] Zu den Implikationen vgl. Glauninger 2015.

[iv] Vgl. Dorostkar 2014: 182. 

[v] Vgl. Schendl 2012: 521.

[vi] Vgl. z. B. Houtzagers 2008: 293–295; Breu 1970.

[vii] Vgl. Breu 1970: 134.

[viii] Vgl. Fleck 2011: 32.

 


Zitation
Kim, Agnes (2021): Moi, MiÖ! Vom Warum und Wozu eines Informationssystems zur (historischen) Mehrsprachigkeit in Österreich.
In: DiÖ-Online.
URL: https://iam.dioe.at/blog/1400
[Zugriff: 19.04.2024]