DiÖ – Cluster D – Beitrag – Blog
15. Mai 2019

„Mia sogn a Mehrhaba! Aber bei der Matura müssen wir Hochdeutsch sprechen!“

 

„Welche Sprachen sprichst du?“  Diese Frage markiert den Beginn unseres Interviews, das wir mit über 260 österreichischen Schülerinnen und Schülern geführt haben. Die darauf folgenden Antworten waren äußerst vielfältig und zeigen, wie bunt und mehrsprachig Schulen in unserem Land doch sind:

Deutsch, Türkisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Albanisch, Kurdisch, Jesidisch, Englisch, Hindi, Punjabi, Norwegisch, Tschechisch, Ungarisch, Spanisch, Rumänisch, Russisch, Paschtunisch, Dari, Arabisch, Italienisch… – und Pinzgauerisch, den Wälder Dialekt, einen türkischen Dialekt vom schwarzen Meer …“ (unvollständige Aufzählung) 

DiÖ-Teilprojekt 10: Thema & Forschungsfragen

Damit unserem Lesepublikum etwas klarer wird, wovon genau hier eigentlich die Rede ist, spulen wir noch einmal ein wenig zurück. Wir – das ist unser kleines Team rund um Univ. Prof. Dr. Stephan Elspaß von der Universität Salzburg, das sich im Rahmen des Projekts „Wahrnehmungen von und Einstellungen zu Varietäten und Sprachen an österreichischen Schulen“ mit dem Thema Mehrsprachigkeit auseinandersetzt. Als Teil des FWF-Spezialforschungsbereichs „Deutsch in Österreich“ beschäftigen wir uns zum einen mit der äußeren Mehrsprachigkeit, die den Blick auf nicht-deutsche Sprachen meint. Zum anderen jedoch – und hier darf man gleichsam von einer innovativen Herangehensweise sprechen – richtet sich unser Forschungsinteresse auf die sogenannte innere Mehrsprachigkeit. Dabei geht es um Varietäten innerhalb einer Sprache, also z.B. um Dialekte des Deutschen oder anderer Muttersprachen der Schülerinnen und Schüler. Um das Bild von der Mehrsprachigkeit an österreichischen Schulen zu vervollständigen, dürfen natürlich auch die Lehrerinnen und Lehrer als wichtiger Teil unserer Untersuchung nicht fehlen.

Uns interessieren dabei u.a. folgende Fragen:

  1. Wie nehmen österreichische Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer unterschiedliche Akzente wahr, die sowohl auf „österreichischen Mundarten“ als auch auf nicht-deutschen Muttersprachen der Schülerinnen und Schüler beruhen? Wie nehmen sie standardnahe Sprechweisen („Hochdeutsch“) wahr?
  2. Welche Einstellungen haben österreichische Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer gegenüber unterschiedlichen sprachlichen Varietäten und Akzenten?
  3. Was wird in diesem Zusammenhang von Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern als angemessene Sprache im Unterricht gesehen? Wann soll/muss man wie sprechen?

 

Zielgruppen & Methoden

Die Erhebungen wurden an HAS-/HAK-Standorten in den Bundesländern Wien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg durchgeführt. Insgesamt durften wir im Rahmen unseres Projekts sieben Schulen besuchen. Die Zielgruppen pro Schulstandort waren:

  1.  HAS- und HAK-Schülerinnen und Schüler der 10. Schulstufe (pro Schule zwei Klassen)
  2. sowie deren Lehrerinnen und Lehrer (ca. fünf pro Schulstandort)

Für die Datenerhebung kamen verschiedene Methoden zum Einsatz. Zum einen war dies ein Online-Fragebogen, der von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern auszufüllen war. Sie beinhaltete u.a. Fragen zu Sozialdaten, Sprecherbiografien, eigenem Sprachgebrauch oder dem Sprachgebrauch anderer. Zentral war außerdem ein Teil zu Wahrnehmung (Perzeption) und Einstellung der Teilnehmenden. Hierfür sollten Tonbeispiele nach ihrer Angemessenheit der Sprechweise für bestimmte Unterrichtssituationen (Referat, Gruppenarbeit usw.) bewertet werden. Die gleichaltrigen Schülerinnen und Schüler, die in diesen kurzen Aufnahmen zu hören waren, verwendeten Dialekt oder Standarddeutsch (bzw. „irgendetwas dazwischen“), sprachen mit Akzent oder wechselten zwischen Sprachen (Deutsch, Türkisch, BKS).

 

Eine weitere Methode stellte ein ca. 15-minütiges Einzelinterview dar. Die Schwerpunkte lagen hier bei der eigenen Sprachbiografie, Wahrnehmungen von Sprachen und Varietäten an der Schule sowie eigenen Einstellungen zu innerer und äußerer Mehrsprachigkeit. Bei den Lehrerinnen und Lehrern befasste sich ein Fragenblock außerdem noch mit sprachpädagogischen Einschätzungen.

Die videografierte Gruppendiskussion schließlich war die dritte Form der Datenerhebung. Dabei diskutierten fünf bis sechs Schülerinnen und Schüler aus jeder Klasse zu Themen wie „In der Schule soll nur Hochdeutsch gesprochen werden.“ vs. „Dialekte und andere Sprachen müssen in der Schule auch Platz haben“. 

Herausforderungen & erste Projektergebnisse

Ein großes Anliegen unseres Projekts ist es, forschungsbasierte Impulse für die Lehrerinnen- bzw. Lehreraus- und -fortbildung bereitzustellen. Denn so viel lässt sich jedenfalls feststellen: Eine Mehrheit der interviewten Lehrerinnen und Lehrer sieht sich angesichts der sprachlichen Situation in den Klassen vor große Herausforderungen gestellt.

Eine open-access (also downloadbare) Broschüre mit ersten Projektergebnissen wird zu Schuljahresende erscheinen (Link auf dieser Homepage). Es lohnt sich also, diese Seite regelmäßig zu lesen!

Abschließend: Danke!!!

Nicht nur in Bezug auf unsere Forschungsinteressen, sondern auch auf persönlicher Ebene war die Arbeit an den Schulen gewinnbringend und erfahrungsreich für uns. In die Schulen „reinzukommen“, gestaltete sich zwar zuweilen als nicht ganz einfach (Stichwort: Bürokratie, enger Zeitplan der Schulen), doch vor Ort wurden wir stets sehr nett, offen und interessiert empfangen. Unser großer Dank gilt allen, die uns die Arbeit ermöglicht und erleichtert haben: zuallererst natürlich den Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern, die sich bereiterklärten, an unseren Erhebungen teilzunehmen. Aber auch ohne die tatkräftige Unterstützung der Direktion, der Administration sowie der Sekretärinnen und Sekretäre oder auch der Schulwarte und-wartinnen hätte der Ablauf nicht so reibungslos funktionieren können. Das eine Mal war alles – Räume, zeitliche Abfolge usw. – penibel durchgeplant, das andere Mal musste auch mal improvisiert werden. Doch immer war man darauf bedacht, dass wir alles hatten, was wir brauchten. Außerdem waren alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, so unterschiedlich sie auch sein mochten, sehr bemüht und wirkten am Thema interessiert. Vor allem die Schülerinnen und Schüler genossen unserem Eindruck nach vielfach auch die ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit und Wertschätzung während der Interviews.

Abschließend möchten wir diesen kurzen Beitrag mit einer kleinen Anekdote aus einem der Interviews (von denen es weiß Gott viele gab…nicht nur am Tag des Maturastreiches, in den wir platzten!). Am Ende wurden die Schülerinnen und Schüler immer gebeten, eine Selbsteinschätzung ihrer verwendeten Sprachform abzugeben: „Wie hast du jetzt mit mir gesprochen? Eher Dialekt oder eher Hochdeutsch?“ In einem Fall lautete die Antwort: „Hm, ich würde sagen Mittelhochdeutsch.“ Der schulische Sprachgebrauch umfasst also nicht nur eine Vielzahl an Sprachen und Varietäten der Gegenwart, es werden auch tote Sprachen „wiederbelebt“. Da freut sich das sprachwissenschaftliche Herz!


Zitation
Resch, Cordula; Fuchs, Eva (2021): „Mia sogn a Mehrhaba! Aber bei der Matura müssen wir Hochdeutsch sprechen!“.
In: DiÖ-Online.
URL: https://iam.dioe.at/blog/1988
[Zugriff: 23.11.2024]