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15. April 2021

Perspektiven auf den Sprachwandel in Österreich

Der Sprachwandel wird im Diskurs oftmals sehr emotional behandelt. In der Sprachwissenschaft betrachten wir diese sprachliche Variation mit einem interessierten, nicht wertenden Blick. In unserem Projekt bekommen aber auch die Proband*innen den Raum, ihre Perspektiven auf den Sprachwandel darzustellen.

Deutsch in Österreich quo vadis?

Kaum jemand kann leugnen, dass es ihn gibt: den Sprachwandel. Man erkennt Unterschiede, wenn man die eigene Sprechweise mit der Sprechweise anderer Generationen vergleicht. Man kann aber auch einfach die eigene Sprechweise im Laufe der Zeit betrachten, um Sprachwandel zu beobachten. Wie hat sich meine persönliche Sprache in den letzten zehn Jahren verändert? Welche anderen Wörter benutze ich, welche neuen Redewendungen? Die Sprache verändert sich auch mit der jeweiligen Lebenssituation, in der man sich befindet. Genau das ist ja das Besondere an lebendigen Sprachen, dass sie sich mit Lebensrealitäten verändern. Die Sprache bleibt so nicht hinter gesellschaftlichen Entwicklungen zurück. Mit Veränderungen gehen aber auch negative Befürchtungen einher. Oft wird schon bei kleineren sprachlichen Entwicklungen von einem drohenden Sprachverfall ausgegangen. Die Sprache, so persönlich und identitätsstiftend sie ist, wird oftmals zum emotionalen Thema. Aus diesem Grund stellen wir im Teilprojekt PP04 all unseren Proband*innen die Frage, wie sie denn die Zukunft der deutschen Sprache in Österreich sehen. Wir wollen so positive und negative Perspektiven auf den Sprachwandel sichtbar machen und den Erwartungen und Befürchtungen der Menschen Raum geben. Denn auch die Haltungen zum Sprachwandel beeinflussen diesen auf die eine oder andere Weise.

Ist die Jugend von heute wirklich schuld am Sprachwandel?

Um diejenigen, die eine deutlich pessimistische Perspektive auf den Sprachwandel haben, vielleicht gleich zu Beginn zu beruhigen: Sprachwandel ist kein modernes Symptom eines schleichenden Kulturverfalls, für den die Nachlässigkeit der Jugend verantwortlich wäre. Wenn man die Werke von Schiller oder Goethe liest, erkennt man schnell, dass sich die Sprache seit dem 18. Jahrhundert stark verändert hat. Es finden sich darin Wörter und Redewendungen, vielleicht auch grammatische Phänomene, die uns heute gar nicht mehr bekannt sind oder die wir zumindest nicht mehr benutzen würden. Sprachwandel ist also kein Phänomen des 21. Jahrhunderts und Sprachwandel betrifft auch nicht nur die deutsche Sprache. Alle Sprachen der Welt verändern sich kontinuierlich.

Wie passiert nun aber Sprachwandel?

Sprachliche Veränderungen sind nichts, was bewusst gelenkt werden kann. Rudi Keller (2014) beschreibt Sprachwandel daher als „Phänomen der dritten Art“: Sprachwandel ist weder ein Phänomen der Natur noch etwas von Menschen bewusst Hergestelltes. So gibt es nach Keller so etwas wie eine „unsichtbare Hand“, die den Sprachwandel vorantreibt: Wenn eine sprachliche Norm immer wieder von verschiedenen Menschen auf dieselbe Weise verletzt wird, kann diese Regelverletzung im Laufe der Zeit zur neuen Norm werden. Die Sprache ist dabei dynamisch und nicht starr. Sprache verändert sich dadurch, dass Menschen sie in ihrem Alltag benutzen. Im Vorteil sind dabei jene sprachlichen Formen, die kürzer und einfacher sind als andere. Die Sprachökonomie spielt bei diesen Prozessen oft, aber nicht immer eine Rolle. Wenn sich die sprachliche Möglichkeit bietet, einen komplexen Sachverhalt einfach auszudrücken, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, verstanden zu werden und damit der Erfolg der Kommunikation.

Ein Phänomen der dritten Art lässt sich kaum prognostizieren

Sprachwandel ist auch für Sprachwissenschafter*innen nicht vorhersehbar. Wir können ihn aber retrospektiv untersuchen. Zu aktuellen Wandelprozessen können wir nur Tendenzen aufzeigen und aus einer neutralen Perspektive heraus beschreiben, wie Sprache gerade gebraucht wird. Auch hier sind es oft Abweichungen von Normen und Innovationen, die uns besonders interessieren. Was wir machen können, ist Einstellungen zum Sprachwandel zu erheben. Das Untersuchen von Spracheinstellungen stellt einen Teilbereich der Perzeptionslinguistik dar. In der Perzeptionslinguistik geht es darum, laienlinguistische Wissensbestände und eben auch Einstellungen zu untersuchen.

Alles nur Zukunftsmusik?

In PP04 stellen wir unseren Proband*innen als Gesprächsabschluss immer die Frage, wie sie denn die Zukunft der deutschen Sprache in Österreich sehen und von welchen Veränderungen sie ausgehen. Die Antworten darauf sind so vielfältig wie unsere Gesprächspartner*innen selbst. In den Antworten lässt sich aber die Tendenz erkennen, dass die Proband*innen das Englische und das „bundesdeutsche Deutsch“ als zunehmend einflussreich sehen. Die Zugänge zum Thema reichen allerdings von positiven, neutralen bis hin zu pessimistischen Erwartungen. Um Einblick in diese Vorstellungen zu geben, sollen nun ein paar unserer Proband*innen zu Wort kommen:

„Die Sprache wird sich sicher noch ein bisschen verändern. Vielleicht wird’s noch globalisierter. Das Englische wird auch noch weiter vorgreifen. Aber ich hab sicher keine Sorge, dass die deutsche Sprache in irgendeiner Weise untergehen wird, sondern dass sie sich ein bisschen anpassen wird, dass da neue Dinge reinkommen. Ich finde, es ist alles im Fluss.“ (zwischen 20 und 30, weiblich, Thal)

„Die Sprache wird ärmer werden. Obwohl so viel dazukommt. Weil meiner Meinung nach einige Begriffe, wo es bei uns im Österreichischen drei verschiedene Begriffe für ein Trumm gibt – das wird sich auf eins zusammenziehen. Und zwar auf das Lehnwort aus einer anderen Sprache.“ (über 65, männlich, Kalsdorf)

„Verändern wird sie sich auf jeden Fall, weil Sprache sich immer verändert. Jeder, der das nicht erkennt, ist ein Sprachfaschist.“ (zwischen 20 und 30, männlich, Graz Gries)

„Ich glaub, dass es immer mehr Richtung Hochsprache gehen wird und dass diese Hochsprache dann eben sehr beeinflusst wird vom Englischen, eventuell auch von diversen Jugendsprachen, die im Entstehen sind. Und vor allem haben wir verschiedene Kulturen in Österreich. Ich glaub, da wird man von verschiedenen Sprachen profitieren können, weil das die Sprache anreichert und interessanter macht.“ (zwischen 20 und 30, männlich, Weinitzen)

„Sie wird sich verändern, dadurch dass sie kürzer wird, dass die Jugend nicht mehr reden kann. Ich habe noch nie Jugendliche gesehen, die miteinander eine Diskussion führen. Man wird nur mehr in Stichwörtern reden. Komm oder geh oder so.“ (über 65, weiblich, Graz Gries)

Die allermeisten unserer Proband*innen sehen den Sprachwandel als nicht anzuzweifelnde Realität an. Vielfach wird der Einfluss anderer Sprachen, vor allem des Englischen erwähnt, wobei gerade dieser Einfluss sehr unterschiedlich bewertet wird. Haltungen, die von einer Verdrängung des Deutschen und Verarmung der Sprache ausgehen, stehen Meinungen gegenüber, die eine Bereicherung durch sprachliche Vielfalt prognostizieren. Auch wird öfter von einer zunehmenden Standardisierung und vom Einfluss der Jugendsprachen gesprochen.

Abwarten und weitertratschen

Sichere Vorhersagen über die Entwicklung der Sprache lassen sich also nicht treffen. So können auch wir Sprachwissenschafter*innen nur gespannt sein, was die Zukunft für die deutsche Sprache bringen wird. Eines ist für uns jedenfalls sicher: Wir warten schon mit unseren Aufnahmegeräten und freuen uns auf alle Einflüsse und kleinen Variationen, die wir finden werden.

Literatur:

Keller, Rudi (2014): Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache. 4. unv. Aufl. Tübingen: A. Francke.

Zitation
Monsberger, Teresa (2021): Perspektiven auf den Sprachwandel in Österreich.
In: DiÖ-Online.
URL: https://iam.dioe.at/blog/2815
[Zugriff: 27.04.2024]