Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem dialektal verwendeten Krumpan ‚Erdäpfel‘ und dem slawischen krumpir ‚Erdäpfel‘?

beantwortet von: Agnes Kim

Wie bist du zur Forschungsfrage gekommen?

Die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen dem in wenigen, verstreuten Regionen im deutschsprachigen Raum dialektal verwendeten Krumpan ‚Erdäpfel‘ und dem slawischen krumpir ‚Erdäpfel‘ gibt, wurde uns von einer Person aus dem oststeirisch-burgenländischen Grenzgebiet gestellt, die die dialektale Form Krumpan aus einigen wenigen Familien kennt. Als Etymologien wurden ihr bislang die zwei schon in der Frage angedeuteten Erklärungsansätze angeboten:

  • Krumpan sei eine dialektale Form von deutsch Grundbirne und
  • Krumpan sei eine Entlehnung aus kroatisch krumpir ‚Erdäpfel‘.

Und an sich ist die Antwort ganz einfach: Ja, es gibt einen Zusammenhang zwischen den beiden Ableitungen – kurz und gut: kroatisch krumpir ist eine Entlehnung aus deutsch Grundbirne. Doch sehen wir uns das in diesem kurzen Artikel genauer an.

Welche Informationen zu Grundbirnen, Erdäpfeln und Trüffeln hast du gesammelt?

Die heute in ganz Europa zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln zählende Solanum tuberosum wurde im 16. Jahrhundert erstmals aus Südamerika eingeführt. Erst seit dem 18. Jahrhundert etablierte sie sich zuerst langsam, später schneller als ein zentraler Bestandteil der europäischen Küche. Was jedoch nicht mit der Pflanze gemeinsam importiert wurde, war ein gemeinsamer Name und so finden wir allein im deutschsprachigen Raum zahlreiche Synonyme mit unterschiedlichem regionalen oder auch „nationalen“ Geltungsbereichen. Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie bereits vor dem Import von Solanum tuberosum existierten und andere Feldfrüchte bezeichneten, die im oder nahe am Boden reiften. Hier seien die wichtigsten drei alphabetisch gelistet.

Erdapfel, -s, -äpfel (m.): standardsprachl. in Ö, regional in Bayern; Herdapfel/Herdäpfel in der Schweiz • schon im Althochdeutschen als ërdaphul belegt, bezeichnete ursprünglich eine Gurken- oder Melonenart • DWDS, DWb

Grundbirne, -n, -n (f.): in verschiedenen Formen regional in West-D, Vorarlberg und im Burgenland • seit dem 16. Jahrhundert belegt, bezeichnete ursprünglich die Erdnuss • DWDS, DWb

Kartoffel, -, -n (f.): gesamtdeutsch standardsprachl. • im 17. Jahrhundert aus italienisch tartufo ‚Trüffel‘ entlehnt, zunächst in der Form TartuffelDWDS, DWb

Wie bist du zu den Informationen über die regionale Verbreitung gekommen?

Zur geographischen Verbreitung dieser Formen im deutschen Sprachraum gibt es einige umfassende Quellen, die ich mir gezielt angeschaut habe und von denen ich drei kurz näher vorstellen möchte: Die erste stammt aus dem sogenannten Wortatlas der deutschen Umgangssprachen, dessen Daten in den 1970er Jahren erhoben wurden. Gefragt wurde dabei nach der in städtischen Erhebungsorten ‚üblichen‘ Entsprechung für Solanum tuberosum bzw. ihre Knollen. Die entsprechende Karte kann über das SprachGIS von regionalsprache.de eingesehen werden. Eine ähnliche Erhebung wird seit 2003 auch mit dem Atlas zur deutschen Alltagssprache (vgl. auch diesen Blogeintrag) durchgeführt. Die Karte zu Kartoffeln, Erdäpfeln oder Grundbirnen ist ebenfalls online abrufbar.

Was ist dabei rausgekommen? – Ein komplexes Bild

Die beiden Untersuchungen zeichnen dasselbe großräumige Bild: Verschiedene Formen von Grundbirne können in drei voneinander isolierten Gebieten gefunden werden:

  1. in Westdeutschland (sowie den angrenzenden Gebieten in Frankreich und Luxemburg), insbesondere in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, dem Saarland sowie dem Norden von Baden-Württemberg und den an das Gebiet angrenzenden Teilen von Unterfranken;
  2. in Vorarlberg;
  3. im Burgenland.

Erdapfel ist hingegen in fast ganz Österreich und auch in der Standardsprache gebräuchlich, sowie in der Schweiz in mit H- beginnender Form (Herdapfel) und im Osten Bayerns. In allen anderen Gebieten dominiert Kartoffel, das auch in allen Standardvarietäten anerkannt wird.

Die regionale Verteilung dieser Bezeichnungen wurde auch im Spezialforschungsbereich „Deutsch in Österreich“ spezifisch für Österreich mit einem 2020 ausgeschickten Fragebogen untersucht. Die Ergebnisse zeigt für den Dialekt der Gewährspersonen die Karte in einem unserer Blogbeiträge. Dieser trug den treffenden Titel „Trifft ein Burgenländer einen Vorarlberger“ – eben, weil auch diese jüngsten Daten zeigen konnten, dass verschiedene Formen von Grundbirne (Grump(i)r(a), Grompara, Krumbir, Krumpra) sowohl in Vorarlberg als auch im Burgenland verwendet werden.

Demnach ist davon auszugehen, dass Formen von Grundbirne in der 2. Hälfte des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts relativ stabil in drei voneinander aber komplett isolierten Teilen des deutschen Sprachraums verwendet werden. Früher dürfte sie etwas weiter verbreitet gewesen sein, wobei ich hier nur beispielhaft einen von mehreren Belegen anführe: In einem Wörterbuch des Wiener und niederösterreichischen Dialekts aus dem Jahr 1847 führt dessen Autor Franz Ignaz Castelli für die „knollige Wurzel von Solanum tuberosum“ nur das Lemma Grundbiarn an.

Ein Blick über die Grenzen

Nun ist die Lage ja schon bezüglich der Benennung ein und derselben Feldfrucht im deutschen Sprachraum einigermaßen komplex. Doch habe ich einleitend erwähnt, dass das kroatisch krompir eine Entlehnung aus deutsch Grundbirne sei. Daher lohnt sich ein Blick auf den gesamten zentraleuropäischen Raum, wie ihn die nebenstehende Karte grob vereinfachend wiedergibt.

Sie berücksichtigt primär Standardsprachen und nur für einige Sprachen, dass es in manchen Teilen des Sprachgebiets oder vielleicht in der Umgangssprache andere Wörter geben kann. Wenn dies der Fall ist, werden zweifarbige Streifen eingezeichnet.

  • Gelb sind meist über das Deutsche vermittelte Ableitungen von italienisch tartufo ‚Trüffel‘ markiert, also z. B. bulgarisch kartof, rumänisch cartof oder dänisch kartoffel.
  • Orange sind dann diejenigen Namen gehalten, die auf die Erde (im Sinne von „Grund, Boden“) verweisen, also die dem Erdapfel vergleichbare Formen französisch pomme de terre und niederländisch/flämisch aardappel, aber auch das Polnische ziemniak bzw. Slowakische zemiak. Dabei handelt es sich um Ableitungen vom Wort für Erde, die ziemia bzw. zem lauten. Eine entsprechende Form gibt es – neben entlehnten oder nachgebildeten Formen von Erdapfel – übrigens auch in den mährischen tschechischen Dialekten, wie der Tschechische Sprachatlas zeigt.
  • Eigentlich müsste auch die Grundbirne in diese Kategorie gehören, doch da sie unser Fokus ist, lagern wir sie aus. Abgesehen von den Gebieten im deutschen Sprachraum finden wir sie auch in allen südslawischen Sprachen mit Ausnahme des Bulgarischen. Kartoffel oder Erdäpfel heißen dort krompir (Bosnisch, Serbisch, Slowenisch), krumpir (Kroatisch, auch im Burgenlandkroatischen!) oder kompir (Mazedonisch) und werden auf das Deutsche zurückgeführt (hier beispielhaft ein Link zu einem slowenischen Wörterbuch). Im Ungarischen gilt umgangssprachlich ebenfalls krumpli.
  • Standardsprachlich heißt die Feldfrucht jedoch im Ungarischen burgonya – die Herkunft des Wortes ist nicht gänzlich geklärt, aber es wird ein Zusammenhang mit der Region Burgund vermutet. Ähnlich wird auch die im geschriebenen Tschechisch und in Böhmen gängige Form brambor(a) auf den Namen eines Kulturgebiet der Kartoffel, nämlich auf Brandenburg zurückgeführt.
  • Abschließend noch kurz zu den grün markierten Gebieten: Sowohl italienisch patata als auch albanisch patate werden wie auch das englische potatoe auf spanisch patata zurückgeführt, das ursprünglich die Süßkartoffel bezeichnete – das Übertragungsprinzip ist also dasselbe wie bei den meisten anderen genannten Bezeichnungen.

Was ist offengeblieben? – Überlegungen zum Abschluss

Abschließend stellt sich die Frage, wie ein so komplexes Kartenbild sowie insbesondere die Verbreitung des Wortes Grundbirne bzw. krumpir zustande kommen konnte. Eine solche detaillierte Sprachgeschichte der verschiedenen Bezeichnungen für Solanum tuberosum könnte nur Hand in Hand mit ihrer Kulturgeschichte erzählt werden: Wo wurde sie zuerst kultiviert? Wohin gelangt sie von dort aus?

Außerdem müsste man die Migrationsbewegungen mitberücksichtigen, wie etwa die sogenannten Schwabenzüge, im Rahmen derer im 18. Jahrhundert deutschsprachige Siedler*innen in das damalige Königreich Ungarn, also das heutige Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien zogen und sich als „Donauschwaben“ dort niederließen. Sie kamen jedoch beileibe nicht ausschließlich aus dem Schwabenland, sondern eben auch aus der Pfalz und Rhein- und Mainfranken – jenen Gebieten also, in denen heute (noch) Formen von Grundbirne verbreitet sind.

Doch auf den ersten Blick ist das nur eine Überlegung, die es in tiefergehenden Forschungen zu klären gilt!

Beantwortet hat diese Frage:

Mag.a Agnes Kim

Sie hat an der Universität Wien Slawistik mit Schwerpunkt Tschechisch und deutsche Philologie studiert und ist seit 2016 im Teilprojekt PP06 („Deutsch und slawische Sprachen in Österreich: Aspekte des Sprachkontakts“) angestellt. In seinem Rahmen beschäftigt sie sich vor allem historischem Sprachkontakt zwischen dem Deutschen und slawischen Sprachen in Wien und Ostösterreich.