Gibt es eine „WhatsApp-Sprache“?

beantwortet von: Jan Höll

Wie bist du zur Frage gekommen?

Diese Frage ist schon oft an unser Citizen Science Projekt gestellt worden, manchmal wurde auch nach Messenger-Sprache, Chat-Sprache oder SMS-Sprache gefragt. Die Art und Weise wie wir über diese verschiedenen Kanäle miteinander kommunizieren ist ähnlich, dennoch werde ich mich hier auf die WhatsApp-Sprache konzentrieren, denn sie hat einige besondere Merkmale.

Wie bist du an die Frage rangegangen? Wie bist du an die WhatsApp-Daten gekommen?

Um der Frage nach einer WhatsApp-Sprache zufriedenstellend auf den Grund zu gehen, ist die Untersuchung großer Mengen von WhatsApp-Nachrichten möglichst vieler verschiedener Sprecher*innen notwendig. Wie man sich nun denken kann, ist es nicht ganz leicht an solche zu kommen. Denn die Nachrichten, die wir uns gegenseitig schreiben, sind privat und so soll das auch bleiben - darauf achten bestehende und wichtige Datenschutzverordnungen. Zusätzlich verschlüsseln viele Messenger-Dienste die Nachrichten ihrer User, sodass ein Mitlesen von außen gar nicht erst möglich ist. Auch wenn die Wissenschaft es könnte, wäre es unethisch und wissenschaftlich nicht vertretbar einfach auf die Daten zuzugreifen. Deshalb sind Linguist*innen für ihre Untersuchungen auf freiwillig bereitgestellte Chatverläufe angewiesen. Ein größeres Sammelprojekt dieser Art wurde in der Schweiz von verschiedenen Universitäten durchgeführt1 - meine Antwort basiert größtenteils auf Ergebnissen aus dem Umfeld dieses Projekts  Eine größere Sammlung von österreichischen WhatsApp-Nachrichten existiert leider noch nicht (wäre aber sehr wünschenswert!).

Welche sprachlichen Merkmale machen die WhatsApp-Sprache besonders?

Wenn wir über die Existenz einer WhatsApp-Sprache diskutieren wollen, stellt sich die Frage: Welche speziellen sprachlichen Merkmale zeichnet die Kommunikation in WhatsApp aus?

In der Sprachwissenschaft wird diesbezüglich häufig die Nähe von WhatsApp-Unterhaltungen zur gesprochenen Sprache hervorgehoben, die oft auch als “schriftliche Mündlichkeit” bezeichnet wird/ dieses Merkmal nennt man auch “schriftliche Mündlichkeit” Zwar erfolgt die Kommunikation hauptsächlich in geschriebener Form (wobei Multimedialität durchaus eine wichtige Rolle spielt, dazu gleich mehr), auf konzeptioneller Ebene hingegen – man könnte vielleicht sagen "ihrem Stil nach" – weist die WhatsApp-Kommunikation viele Ähnlichkeiten zu mündlichen Gesprächen auf.

Mündlichkeit von Chat-Gesprächen

Das kann sich auf verschiedene Weise äußern: Postings sind tendenziell eher kurz, auch unvollständige Sätze (z. B. ohne Subjekt oder Prädikat) kommen häufig vor. Ganz generell werden Fehler im Sprachbau in der Regel toleriert und selten ausgebessert. Auch wird häufig versucht, die Intonation von gesprochener Sprache wird mit graphischen Mitteln zu imitieren, zum Beispiel in dem die höhere Lautstärke der Aussage durch Großschreibung und liberalen Gebrauch von Interpunktionszeichen dargestellt wird („WAS?!?!“).

Die graphische Darstellung der Gespräche als fortlaufende Dialoge fördert ebenfalls den Gesprächscharakter der WhatsApp-Kommunikation, was auch auf visueller Ebene durch die Darstellung in Sprechblasen gefördert wird. Jedoch können wir zwar gleichzeitig tippen, aber angezeigt werden Nachrichten letztendlich immer nacheinander, es gibt also kein „Hineinreden“ und wir können die andere Person auch nicht unterbrechen. Chat-Kommunikation wird daher auch als „quasi-synchron“ bezeichnet.

Ein weiterer Grund, warum WhatsApp-Nachrichten eine Nähe zur gesprochenen Sprache aufweisen, hängt auch damit zusammen, dass Menschen, die im Alltag primär Dialekt sprechen, auch WhatsApp-Nachrichten sehr häufig im Dialekt verfassen.

Das ist insbesondere für die Erforschung der Sprache in Österreich äußerst interessant. Geschriebener Dialekt war lange auf Randbereiche wie die Mundartdichtung beschränkt, dass so viele Menschen im Dialekt schreiben, ist eine Besonderheit der digitalen Kommunikation und insbesondere auch der Sprachverwendung in WhatsApp. Daran sind aber auch sprachliche Herausforderungen geknüpft. Beispielsweise verfügen Dialekte nicht über eine genormte Rechtschreibung, was Schreibende dazu zwingt, selbst linguistisch tätig zu werden: Schreibe ich als Vorarlberger etwa „ghörig“ analog zur standarddeutschen Schreibweise „gehörig“, oder doch „körig“, was der tatsächlichen Aussprache vielleicht näher kommt? In meinen eigenen WhatsApp-Gesprächen lese ich immer wieder beide Varianten, eine „richtige“ Schreibweise gibt es nicht.

Multimedialität in der WhatsApp-Kommunikation

Eine andere sprachliche Besonderheit hängt nicht mit der „Mündlichkeit“ des WhatsApp-Sprachgebrauchs zusammen, sondern mit seiner Digitalität. Kommunikation in WhatsApp erfolgt multimedial: Die App bietet verschiedenste Möglichkeiten das Geschriebene durch visuelle und auditive Elemente zu ergänzen, wobei diese Mittel der sprachlichen Gestaltung stark von der technischen Ausstattung des jeweiligen Mediums abhängig sind. Mit neuen Features verändert sich auch der Sprachgebrauch innerhalb der App. Zu nennen sind hier etwa die Implementierung von GIFs oder die Möglichkeit, innerhalb von WhatsApp auch Sprachnachrichten zu versenden.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung von Emojis für die Kommunikation in digitalen Medien, für viele ist dies vielleicht sogar das auffälligste Merkmal des Sprachgebrauchs in WhatsApp. Im oben genannten Schweizer WhatsApp-Korpus haben Forscher*innen festgestellt, dass über 90% der Chats Emojis enthalten. Emojis stellen auch einen zentralen Unterschied zwischen WhatsApp- und SMS-Kommunikation dar, bei SMS wurde eine ähnliche kommunikative Rolle noch von Emoticons aus ASCII-Zeichen (z. B. „:-)“) eingenommen2. Die Verwendung der Emojis in WhatsApp ist dabei vielseitig. Sie können den Ton einer Aussage verschärfen oder abmildern, können stellvertretend für bestimmte Textteile stehen (z. B. „❤️-lichen Glückwunsch!“), können aber auch ohne jeden Kontext als selbstständige Äußerung fungieren. Spannend ist auch, dass sich mit bestimmten Emojis teilweise Bedeutungen verfestigen, die vom eigentlichen Inhalt abweichen. Gefaltete Hände werden dann schon einmal als „High Five“ uminterpretiert und bei einem geposteten Pfirsich-Emoji ist nur selten von einem tatsächlichen Pfirsich die Rede, wie erfahrene Emoji-Benützer*innen sicherlich bereits wissen.

Gibt es nun eine WhatsApp-Sprache und wie geht es damit weiter?

Natürlich kann nicht von einer WhatsApp-Sprache im Sinne einer Einzelsprache wie Deutsch oder Englisch die Rede sein, das war aber vermutlich auch nicht die Absicht hinter der Frage. Was es aber, wie wir gesehen haben, definitiv gibt, sind sprachliche Muster und Gestaltungsmittel, die besonders typisch für die Kommunikation in WhatsApp sind und die von den meisten Benützer*innen verwendet werden. Zwar kommen diese auch in anderen digitalen Medien zum Einsatz (Emojis sind heutzutage in den meisten sozialen Netzwerken integriert, geschriebener Dialekt findet sich auch zum Teil in regionalen Online-Foren), die spezielle Kombination von typischen, sprachlichen Mustern wie etwa geschriebenem Dialekt und Emojis ist es aber, was man als „WhatsApp-Sprache“ bezeichnen könnte. 

Da es sich um eine sehr junge Kommunikationsform handelt, steht auch die Forschung auf diesem Feld noch eher am Anfang, die hier vorgestellten Merkmale (schriftliche Mündlichkeit und Einsatz von Emojis) zählen zwar zu den auffälligsten, jedoch werden ständig neue Erkenntnisse über den Sprachgebrauch in WhatsApp gewonnen, die Liste könnte also noch lange fortgesetzt werden. Hier wird die Forschung auch durch die Schnelllebigkeit digitaler Medien erschwert. WhatsApp ist momentan zwar noch der „Platzhirsch“ unter den Kurznachrichtendiensten, aber das kann sich in sehr kurzer Zeit ändern. Inwiefern die Sprachverwendung in der nächsten dominanten Messenger-App jener in WhatsApp gleicht, wird wohl zu großen Teilen davon abhängen, wie sehr die technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten anderer Apps der von WhatsApp ähneln. Oder aber Instant-Messanging-Apps werden generell durch eine neue Form der Kommunikation abgelöst und die Frage nach der spezifischen Sprache dieses Mediums stellt sich wieder aufs Neue.

Fußnoten

1 https://www.whatsup-switzerland.ch/index.php/de/korpus

2 Natürlich werden textbasierte Emoticons auch in WhatsApp weiterhin verwendet, jedoch in einem weitaus geringeren Umfang als Emojis.

Beantwortet hat diese Frage:

Jan Höll, BA MA

Seit Oktober 2020 als Praedoc im SFB-Teilprojekt PP08 (Standardvarietäten aus Perspektive der perzeptiven Variationslinguistik) tätig. Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Spracheinstellungsforschung und der Korpuslinguistik.