Warum spricht man im Büro mittlerweile so viel Hochdeutsch und keinen Dialekt mehr?
beantwortet von: Manfred „Manzi“ Glauninger
Wie bist du zur (Forschungs-)Frage gekommen?
Diese Frage ist mir bei öffentlichen Vorträgen, aber auch bei Unterhaltungen im Freundeskreis schon öfters gestellt worden. Sie zeigt sehr gut, dass sich die Menschen für die Sprache und ihre verschiedenen Ausprägungen, wie zum Beispiel Dialekt oder Hochdeutsch, interessieren. Und es wird auch bemerkt, dass sich die Sprache und ihr der Gebrauch verändern. Die Vielfalt der sprachlichen Formen – sprachwissenschaftlich gesagt: die Variation der Sprache – und ihr Wandel interessieren mich auch in meiner Forschungsarbeit. Deshalb bin ich der Sache auf den Grund gegangen.
Welche Methode hast du gewählt? Wie bist du an die Frage herangegangen?
Natürlich wäre es am besten, wenn man in ganz Österreich in Büros verschiedenster Firmen Bild- und Tonaufnahmen davon machen könnte, wie die dort arbeitenden Menschen sprechen. Und dann müsste man diese Aufnahmen sprachwissenschaftlich auswerten. Das wäre ein riesiges Forschungsprojekt. Aber selbst, wenn man solche Aufnahmen hätte, würde man ja noch vergleichbare Daten aus früheren Zeiten brauchen, damit man feststellen kann, ob sich im Gebrauch von Dialekt und Hochdeutsch im Büro tatsächlich etwas verändert hat.
Ich habe mir deshalb die Ergebnisse von sprachwissenschaftlichen Untersuchungen angeschaut, in denen in den letzten Jahrzehnten Menschen in Österreich befragt worden sind, wie sie in verschiedensten Situationen und mit unterschiedlichsten Menschen sprechen: in der Freizeit oder beruflich, im Alltag oder in der Öffentlichkeit, innerhalb der Familie oder mit Fremden und so weiter. Es handelt sich dabei um Aussagen darüber, wie die Menschen ihren Sprachgebrauch selbst wahrnehmen und einschätzen. Man nennt das sprachwissenschaftlich Einstellungsdaten. Solche Aussagen sind zwar nicht 1:1 mit dem tatsächlichen Sprachgebrauch gleichzusetzen, aber trotzdem eine gute Grundlage für die Erforschung der sprachlichen Verhältnisse.
Und warum wird also im Büro immer mehr Hochdeutsch und immer weniger Dialekt gesprochen?
Die Spracheinstellungs-Untersuchungen zeigen, dass die Österreicherinnen und Österreicher wohl auch am Arbeitsplatz bzw. im Büro sehr flexibel einmal Dialekt, dann wieder Hochdeutsch oder besonders häufig auch Sprachformen „dazwischen“ verwenden, die man sprachwissenschaftlich Umgangssprache nennt. Und das ist je nach Region, Alter, Geschlecht, Gesprächsthema, Gesprächspartner, Situation und noch einer Reihe anderer Faktoren sehr unterschiedlich. Allgemeine Aussagen für ganz Österreich lassen sich hier nicht machen. Es wird aber wohl so sein, dass jüngere Angestellte in einem Großraum-Büro eines internationalen Konzerns in Wien mehr Hochdeutsch (und weniger Dialekt) sprechen als ältere Mitarbeiter in einem Büro eines Kleinbetriebes in Vorarlberg (wo ja das Dialektsprechen im österreichweiten Vergleich am üblichsten ist).
Was man schließlich noch bedenken sollte: Der Eindruck, dass im Vergleich zu früher (im Büro oder wo auch immer) weniger Dialekt gesprochen wird, entsteht oft durch eine falsche Vorstellung vom Dialekt. Wie alles Sprachliche verändert sich nämlich auch der Dialekt. So wird möglicherweise in vielen Büros nach wie vor gleich viel Dialekt gesprochen wie in früheren Zeiten – aber eben ein veränderter, dem Wandel der Gesellschaft angepasster Dialekt, der (vor allem von älteren Menschen) nicht mehr als solcher wahrgenommen wird.
Beantwortet hat diese Frage:
PD Mag. Dr. Manfred Glauninger
Er ist Soziolinguist, forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Austrian Centre for Digital Humanities / Abteilung Variation und Wandel des Deutschen in Österreich), lehrt an der Universität Wien (Institut für Germanistik) und ist kooptierter Mitarbeiter in den Teilprojekten 05 und 08 des Spezialforschungsbereichs Deutsch in Österreich.