Woher kommt die Redewendung „Genug Spatze einplanen“?

beantwortet von: Manfred „Manzi“ Glauninger

Wie bist du zur (Forschungs-)Frage gekommen?

Diese Frage ist dem SFB Deutsch in Österreich online, hier auf der Website, über das entsprechende Formular gestellt worden. Sie ist deshalb besonders interessant, weil es dabei um eines der vielen in Österreich, aber auch anderswo im deutschen Sprachraum gebräuchlichen Dialektwörter geht, die aus dem Lateinischen bzw. Italienischen stammen.

Welche Methode hast du gewählt? Wie bist du an die Frage herangegangen?

Mein Zugang war die Redewendung „Genug Zeit / (Spiel-)Raum einplanen“. Es stellte sich somit die Frage: Was hat „Spatze“ mit „Zeit“ oder „Raum“ zu tun? Der erste, sozusagen „logische“ Schritt, nämlich das Googlen bzw. die Internet-Recherche im Online-Duden und im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS), führte zu keinem Ergebnis. Ein Sprachenvergleich brachte mich aber schließlich auf die richtige Spur: „Spatze“ erinnert an ein ähnlich klingendes lateinisches Wort, das eine passende Bedeutung hat und (wie man im DWDS und anderen Wörterbüchern lesen kann) im 15. Jahrhundert ins Deutsche entlehnt worden ist: spatium.

Eine Abfrage in der Datenbank des Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ) hat bestätigt, dass in vielen Regionen Österreichs im Dialekt das Wort „Spazi“ (gesprochen mit „langem“ a) gebräuchlich ist (bzw. war – die Belege der WBÖ-Datenbank wurden größtenteils bereits vor Jahrzehnten gesammelt). Auch die WBÖ-Datenbank verweist auf das lateinische spatium als Herkunft des Dialektworts. Möglich ist aber auch eine Übernahme der italienischen Entsprechung von lateinisch spatium, nämlich spazio. Im Schweizerischen Idiotikon (dem größten und bedeutendsten Wörterbuch der Dialekte in der deutschsprachigen Schweiz) werden sowohl italienisch spazio als auch lateinisch spatium als Ausgangspunkt von schweizerdeutsch Spatzig / Spaazi angegeben. 

Zurück zur Frage des Monats: Die Schreibung „Spatze“ deutet (wie das schweizerdeutsche „Spatzig“) darauf hin, dass im Lauf der Zeit das Wort immer weniger als lateinisch (bzw. italienisch) empfunden und „eingedeutscht“ worden ist. Dabei spielte offenbar die irrtümlich hergestellte Verbindung mit dem deutschen Wort „Spatz“ eine Rolle, deshalb (auch) die Aussprache mit „kurzem“ a. (Die WBÖ-Datenbank enthält einige solcher Belege, wenn auch jene mit „langem“ a überwiegen.) Das ist ein Beispiel für die lautliche Angleichung von Fremdwörtern an die eigene Sprache, die oft mit „volksetymologischen“ Erklärungen der Wortherkunft bzw. irrtümlichen Gleichsetzungen mit Wörtern der eigenen Sprache einhergeht. Ein abgeschwächtes -e anstelle von -i am Wortende (man vergleiche „Spatze“ in der an den SFB gerichteten Frage) ist vor allem im sogenannten mittelbairischen Dialektraum (in Österreich im Wesentlichen: Ober-, Niederösterreich und Wien) üblich.

Woher kommt also die Redewendung „Genug Spatze einplanen“?

Ausgangspunkt ist die Übernahme des lateinischen Wortes spatium bzw. seiner italienischen Entsprechung spazio ins Deutsche, zusammen mit verschiedensten räumlichen und zeitlichen Bedeutungen dieser Wörter. Auch die Redewendung wird sowohl in Bezug auf den Raum als auch die Zeit verwendet. Das Wort spazieren geht bezeichnenderweise ebenfalls auf das lateinische spatium zurück.

Abschließend danke ich Andreas Gellan vom WBÖ-Team für die Recherche in der WBÖ-Datenbank. 

Beantwortet hat diese Frage:

PD Mag. Dr. Manfred Glauninger

Er ist Soziolinguist, forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Austrian Centre for Digital Humanities / Abteilung Variation und Wandel des Deutschen in Österreich), lehrt an der Universität Wien (Institut für Germanistik) und ist kooptierter Mitarbeiter in den Teilprojekten 05 und 08 des Spezialforschungsbereichs Deutsch in Österreich.