Ist „gutes“ Deutsch akzentfreies Deutsch?

beantwortet von: Johanna Fanta-Jende

Diese Frage des Monats ist ziemlich schwer zu beantworten, weil in ihr schon Einstellungen zur Sprache mitschwingen, sehr viel suggestiv vorgegeben wird und man auf viele Aspekte davon eingehen könnte (z. B. die Frage, ob es „gutes Deutsch“ überhaupt gibt und was das sein soll?!). Außerdem kann man – je nachdem welche sprachwissenschaftliche Brille man aufsetzt – die Frage aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten: Deutsch-als-Fremd-/Zweitsprache oder Variationslinguistik.

Es gibt also einiges zu sagen und deshalb widme ich mich der Sache ausführlich. Wer allerdings das Ende nicht erwarten kann, hier die Kurzantwort: Was als gutes Deutsch zu verstehen ist, ist subjektiv – wird also von jedem Menschen anders empfunden – und der Akzent ist lediglich ein Bestandteil dieser persönlichen, qualitativen Einordnung

Vom Kleinen zum Großen: Was bedeuten die Begriffe „gut“ und „akzentfrei“?

Um so eine große Frage ausführlicher zu beantworten, ist es eine sinnvolle Herangehensweise, zunächst einen Blick auf die einzelnen Wörter zu werfen und diese im Sprachwissenschaftskontext zu beschreiben: Ich denke, ich darf „gutes Deutsch“ getrost aus dem Wortschatz aktueller Sprachwissenschaftler*innen verbannen. Wissenschaft hat ja den Anspruch, möglichst objektiv und deskriptiv zu sein, also die Gegebenheiten wertfrei zu beschreiben und zu dokumentieren. Eine solche Wissenschaft erkennt entsprechend ein subjektives Kriterium wie „gut“ nicht an. Selbst im Alltagsverständnis sind die Begriffe nicht präzise und können sehr viel Unterschiedliches bedeuten, einige Beispiele wären: „Gutes Deutsch“

  • als „korrektes“ und „richtiges Deutsch“,
  • als „gut formuliertes“ und „eloquentes Deutsch“ auf der stilistischen Ebene,
  • als „eingesessenes, gut-bürgerliches Deutsch“ aus einer gesellschaftlichen Sicht, oder
  • als „verständliches“ und „für die Kommunikation ausreichendes“ Deutsch in kommunikativer Hinsicht im Zusammenhang mit Personen, die Deutsch nicht als Erstsprache haben.

Der Begriff „Akzent“ ist dagegen schon deutlich spezifischer, auch wenn er in der Sprachwissenschaft nicht einheitlich gebraucht wird. Neben der Bedeutung für „Betonung“ bzw. „Betonungszeichen“, beschreibt eine für die Beantwortung der Frage relevante sprachwissenschaftliche Definition den „Akzent“ als „individuelle Sprechgewohnheiten wie Dialekt und Idiolekt bzw. muttersprachliche Einflüsse in einer Fremdsprache“ (Glück/Rödel 2016: 25). Das ist allerdings noch recht vage, wichtig zu ergänzen wäre noch, dass Akzent sich üblicherweise auf die Ebene der Aussprache bezieht. Ganz vereinfacht würde ich „Akzent“ definieren als „lautliche Merkmale, die verraten, woher jemand kommt“.

„Mit ausländischem Akzent sprechen“

Das „Woher“ kann sich sowohl auf eine andere Muttersprache bzw. Erstsprache oder auf die regionale Herkunft der Sprecher*innen beziehen. Gerade der Aspekt der „muttersprachlichen Einflüsse“ entspricht vermutlich der gängigen alltagssprachlichen Definition, also dem, was viele darunter verstehen. Zumindest nennt auch der Duden den Satz „mit ausländischem Akzent sprechen“ als Beispiel für diesen Begriff (vgl. Duden Online [28.06.2021]). Was als „ausländisch“ eingeschätzt wird, ist wiederum sehr, sehr subjektiv, kann weit auseinandergehen und hat damit zu tun, was als „eigen“ und „fremd“ wahrgenommen wird.

Eine Freundin von mir aus der deutschsprachigen Schweiz wurde während ihrer Studienzeit in Graz beispielsweise häufig gefragt, woher sie komme und wie sie so gut Deutsch gelernt habe. Was vielleicht als Kompliment gemeint ist, drückt indirekt aus, dass Ihr Akzent offenbar nicht als „muttersprachlich“ wahrgenommen wird oder sie noch nicht das sprachliche Niveau eines „Muttersprachlers“ erreicht habe. Hinter solchen Bewertungen steckt häufig eine Haltung, die Akzente als Defizit oder Manko begreift, quasi als Zeichen, dass der Spracherwerb und das Sprachlernen noch nicht abgeschlossen ist. Dabei ist Sprache nichts, was man vollständig erlernen kann. Kein Mensch auf diesem Planeten, auch kein „Muttersprachlicher“, spricht eine Sprache „vollständig“, niemand kennt jedes einzelne Wort einer Sprache, niemand kennt jede grammatische Fügung oder die unendlichen Möglichkeiten, wie sich die Sprache in Subsprachen, also Varietäten, aufgliedern kann, z. B. in Form von Dialekten, Jugendsprache, Fachsprachen oder Wissenschaftsdomänen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Umgekehrt wissen wir – wenn wir genau zuhören – wie schwer es ist, den eigenen Akzent in einer Fremdsprache loszuwerden. Im Falle von Arnold Schwarzenegger scheint es sogar gar keine „akzentfreie“ Sprachverwendung zu geben, so finden wir immer wieder österreichisch-weiche (unaspirierte bzw. lenisierte) P’s und T‘s (phonetisch [p]/b̥] und [t]/[d̥]; siehe auch den Blog-Beitrag von Flo Tavernier „Datendrang in der Porzellangasse“ und meine Antwort auf „Wie klingen die österr. Dialekte?“) in seinem Englisch oder ein „amerikanisches R“ in seinem Steirisch (phonetisch: [ɹ]).  Das übergeordnete Ziel ist dabei in meinen Augen die Verständigung. Wenn diese funktioniert, mich Menschen also trotz meines Akzents einwandfrei verstehen können, kann es natürlich noch mein persönliches Ziel sein, die Aussprache zu verbessern, aber konkret sehe ich dann keinen Anlass, den Akzent als Defizit zu betrachten.

Akzent als regionaler Marker

Und hier kommen wir schon zum zweiten wesentlichen Punkt: Die meisten linguistischen Definitionen berücksichtigen auch „Akzente“ in ein- und derselben Sprache, nämlich in Form von „regionalen Markern“ oder einer „regionalen Färbung“. Während der Dialekt häufig als die „kleinräumigste, lokale Sprechweise“ definiert wird, könnte man den Akzent vereinfacht als die „letzten Reste“ von Regionalität im Standarddeutschen definieren. Wo hier die Grenzen verlaufen und wieviel „Regionales“ im Hochdeutschen „erlaubt“ ist, ist pauschal nicht leicht zu sagen und würde wieder eigene Antwort- und Blogbeiträge füllen können.

Im Variantenwörterbuch heißt es zum Akzent in Deutschland zum Beispiel: „Der in standardsprachlicher Rede beibehaltene Akzent verrät meist die großräumige regionale Herkunft (regionale Standardsprache)“ (Ammon/Bickel/Lenz 2016: LIV). Darunter kann man beispielsweise ein koronalisiertes isch statt ich in Westdeutschland, ein gerundetes I wie in Stümme („Stimme“) oder würklich („wirklich“) und F statt PF in Norddeutschland (Feffer, Flanze, Ferd) oder das bayerisch leicht verdumpfte A und rollende R in „Fåhrtrichtung links aussteigen“ verstanden werden. In Österreich sind vor allem die Ost-West-Unterschiede recht auffällig, da stehen beispielsweise die Wiener Monophthongierung in Nään („Nein“) und die R-Vokalisierung in BeAg („Berg“) dem Tiroler nain und HeRz-SchmeRz deutlich gegenüber (vgl. Antwort auf die Frage „Wie klingen die österreichischen Dialekte?“). Meist sind es eben Relikte aus den Dialekten, ab und zu aber auch mündliche Merkmale, die mit der Sprechgeschwindigkeit und -deutlichkeit zu tun haben (z. B. Assimilation (Zusammenziehen) von Lauten wie „auf-m statt „auf dem“ oder Elision (Wegfall) wie „nich“ statt „nicht“)

„Akzentfrei sprechen“: Mythos oder Realität?

Wichtig ist jedenfalls, dass es eigentlich niemanden gibt, der akzentFREI spricht. Professionelle Sprecher*innen sind wahrscheinlich die einzigen, die entweder gelernt haben, möglichst „neutral“ zu sprechen oder sich gezielt einen bestimmten Akzent angeeignet haben (z. B. Bühnensprache, die wiederum eigenen Normen folgt). Doch auch hier muss betont werden, dass es nicht eine Aussprachenorm für alle deutschsprachigen Regionen und Länder gibt und diese schon gar nicht für alle standardsprachlichen Verwendungskontexte (z. B. Fernsehen, Radio, Theater, Vorträge, Rede, Vorleseaussprache, Schule usw.) gelten. Zwar verwenden Berufssprecher*innen „eine so ‚reine Hochlautung‘ dass diese sich innerhalb Deutschlands nicht einmal einer größeren Region zuordnen lässt“ (Ammon/Bickel/Lenz 2016: LIV). Dennoch ist selbst bei den meisten Nachrichtensprecher*innen schnell hörbar, ob sie aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz kommen (zumindest belegen das erste Ergebnisse einer Umfrage aus dem DiÖ-Teilprojekt 08).

Und dann ist natürlich auch entscheidend, in welche „Rolle“ sie schlüpfen, welche kommunikativen Anforderungen an sie gestellt werden, ob sie also beruflich oder privat agieren, wo sie auftreten und ob nicht vielleicht sogar ein bestimmter Akzent gewünscht ist. Schließlich gibt es in vielen Fällen überhaupt keine „neutrale“ Aussprache, denn je nachdem, ob ich KAffee oder KafFEE sage, könnten mich die Hörer*innen in den Norden oder Süden, nach Deutschland oder Österreich verorten. In den meisten Sprachen der Welt finden wir unterschiedliche Akzente, linguistisch ist davon keiner „besser“, „edler“ oder „richtiger“, vielmehr sollten sie alle gleichberechtigt existieren können. Speziell dort, wo einerseits Dialekte immer seltener werden und andererseits viele Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen, sind Akzente eine Abbildung von Vielfalt.

Langer Reder kurzer Sinn: Akzente als individuelle Fingerabdrücke

Was man allerdings nicht leugnen kann, ist, dass mit bestimmten Akzenten auch bestimmte Vorstellungen, Assoziationen und Vorurteile verbunden sind. Wie bei allen Spracheinstellungen wird meist nicht der Akzent selbst be- bzw. verurteilt, nicht einmal die Sprechenden des Akzents, sondern eben die Gruppe, für die der Akzent steht.

Diese „Schubladisierung“ gilt sowohl für die Beurteilung nicht-deutscher und innerdeutscher Akzente als auch für die Fremd- und Selbstwahrnehmung. Akzente sind so individuell wie Fingerabdrücke. Bewusst oder (im Vergleich zu Dialekten sogar viel häufiger) unbewusst geben sie etwas über die Herkunft und (Sprach-)Geschichte der Sprecher*innen preis. In diesem Zusammenhang können sie eine identitätsstiftende Funktion einnehmen, das merkt man insbesondere dann, wenn man sich der Ausspracheunterschiede bewusst wird und sich trotzdem eindeutig für eine von zwei Varianten entscheidet. Die Motive sind vielfältig, aber für einige Menschen sind Akzente ein Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer (Sprach-)Gemeinschaft. Auch das Fehlen, Ablehnen oder Ablegen eines Akzents spiegelt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und der eigenen Rolle wider. Wer mit seinem Akzent bzw. mit Sprache allgemein spielt (und ich denke, alle Menschen variieren ihre Sprechweise in irgendeiner Form), schlüpft dabei in unterschiedliche Rollen und ermöglicht sich selbst, an unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft teilzuhaben.

Verwendete Quellen

die zur die Beantwortung der Frage herangezogen wurden

Ammon, Ulrich, Hans Bickel & Alexandra N. Lenz (Hrsg.) (2016) Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin, Boston: Walter de Gruyter.

Duden Online: „Akzent“ auf Duden Online. URL: www.duden.de/rechtschreibung/Akzent [Zugriff: 28.06.2021]

Glück, Helmut & Rödel, Michael (Hrsg.) (2016) Metzler Lexikon Sprache. 5., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Mit 52 Abbildungen und 12 vierfarbigen Karten. Stuttgart: Metzler.

Beantwortet hat diese Frage:

Mag. Johanna Fanta-Jende

Seit Dezember 2016 im Team des Wiener SFB-Teilprojekts PP03 (Sprachrepertoires und Varietätenspektren). Forschungsschwerpunkte im Bereich der Variations- und Soziolinguistik des Gegenwartsdeutschen mit Fokus auf phonetisch-phonologischer Variation innerhalb des Dialekt-Standard-Spektrums.