Wie klingen die österreichischen Dialekte?
beantwortet von: Johanna Fanta-Jende
Warum ist die Frage wichtig?
Sprache verrät etwas über uns und unsere Mitmenschen (siehe auch Ludwig Breuers Beitrag darüber, als Deutscher in Österreich zu leben und zu sprechen oder Manfred Glauningers Text zur Sprachverwendung im Büro)! Häufig passiert das sogar, ohne, dass wir es wollen. Abgesehen von bestimmen typischen Wörtern (z. B. das Klischée vom Wiener „ur“) ist es meistens die Aussprache, an der wir (mit ein bisschen Übung) sofort hören können, woher jemand kommt. Dieser Beitrag soll ein kleiner Weghelfer durch die Dialektlandschaften Österreichs sein.
Wie bereits im Beitrag „Wie teilt man Dialekte ein?“ ausführlicher besprochen, gibt es in Österreich zwei große Dialektfamilien: Das Alemannische, vor allem in Vorarlberg, und das Bairische (mit ai geschrieben) im Rest Österreichs.
Dass Vorarlbergerinnen und Vorarlberger in Wien, Lienz oder Eisenstadt also zurecht oft nicht so einfach verstanden werden, hat linguistische Gründe. Das zeigt sich beispielsweise an den folgenden Unterschieden:
Phonetische Merkmale: Alemannisch vs. Bairisch
Eine gesamtbairische Gemeinsamkeit ist die Verdumpfung von A – hier wird also ein Laut zwischen O und A realisiert. Wenn Sie Wörter wie „(ich) hab“, „Affe“ oder „Wasser“ laut in Ihrem (bairischen) Dialekt sprechen, werden Sie diese vermutlich „verdumpft“ aussprechen, also nicht mit „hellem“ A wie in „Asien“. In der Mundartdichtung nimmt man hier oft ein A mit Kringerl darüber („å“) her. Der „Affe“ klingt dann eher wie der Ausschaltknopf „Off“ am Computer. Dies gilt in der Regel für alle bairischen Dialektsprecherinnen und -sprecher Österreichs. Im Alemannischen hören Sie dies wiederum nicht in jedem Wort, sondern tendenziell nur bei (mittelhochdeutsch)1 kurzen A’s. „Wasser“ und „gfalle“ (gefallen) werden zum Beispiel in unserem Vorarlberger Erhebungsort Raggal nicht verdumpft.
Ist Ihnen umgekehrt schon einmal aufgefallen, dass es in den bairischen Dialekten gar keinen ä-Laut gibt? So wie wir laut „ÄÄÄHHM“ aus Verlegenheit herausstottern, würden wir niemals „Käse“, „Gläser“ oder „Mädchen“ aussprechen. Stattdessen wird hier – egal ob in München, Wien, Innsbruck oder Graz – typischerweise genau das helle A realisiert, das wir sonst verdumpfen, also „Kaas“, „Glaasln“ oder „Madl“. Im „Hochdeutschen“ verwenden wir wiederum eher ein geschlossenes E. Wenn Sie die Gelegenheit haben, Vorarlberger Sprecherinnen und Sprechern zu lauschen, werden Sie feststellen, dass in den alemannischen Dialekten hier durchaus ein eindeutiges Ä zum Einsatz kommt: „Kääs“, „Fläädle“ (für „Frittaten“) oder „Schääfle“ (für „Schäfchen“).
Darüber hinaus gibt es noch deutlich mehr Unterschiede zwischen dem Bairischen und dem Alemannischen, vor allem mit Hinblick auf die Vokale/Selbstlaute. Der Wenkersatz „Sein Bruder will sich zwei schöne neue Häuser in eurem Garten bauen“ wird von unseren Vorarlberger Gewährspersonen aus dem höchstalemannischen Raggal ungefähr so ausgesprochen: „Sin Bruoder/Bruader will sich zwai/zwey schöne nöie Hüsli i eurem Gorte baue“. Selbstverständlich gibt es auch innerhalb Vorarlbergs sehr viel Variation, da das Alemannische generell sehr divers ist. Das Beispiel veranschaulicht aber trotzdem schön, dass entlang des Arlbergs ein ganzes Bündel sprachlicher Grenzlinien verläuft.
Kommen wir auf das Bairische zurück, das also die größte Dialektfamilie in Österreich darstellt. Wie im Beitrag zu den Dialekteinteilungen ausführlicher erklärt, kann man das Bairische noch weiter unterteilen in Mittelbairisch (v. a. Oberösterreich, Niederösterreich und Wien) und Südbairisch (v. a. Tirol und Kärnten). Dazwischen gibt es ein Übergangsgebiet, in dem sowohl Merkmale des Mittelbairischen als auch des Südbairischen verwendet werden (v. a. Salzburg, Steiermark und Burgenland). Ich glaube, dass die meisten Österreicherinnen und Österreicher grundsätzlich ein grobes Gefühl dafür haben, woher jemand kommt. Der Steirer bellt, der Tiroler krächzt mit seinem /kch/, der Wiener dehnt alles, der Kärntner singt. An allen ist auch sprachwissenschaftlich was Wahres dran, gerade Letzteres ist auf der Ebene der Prosodie, quasi der Satzmelodie, angesiedelt, was allerdings bisher noch ein kaum erforschtes Gebiet darstellt. In vielen Fällen wissen wir aber gar nicht so genau, woran wir die Herkunft einer Person festmachen. Ein Trick ist, auf die folgenden Merkmale zu achten:
Phonetische Merkmale: Mittelbairisch vs. Südbairisch
Ein erstes Phänomen ist die sogenannte Konsonantenschwächung im Mittelbairischen, also die „schwache“ Aussprache der Buchstaben P, T und K. In den Dialekten hören Sie das am besten, wenn diese Buchstaben in der Mitte eines Wortes stehen, also in „Wetter“ oder „gute“. Südbairisch finden wir hier „Weta, guate“, mittelbairisch wird das T aber „weich“ ausgesprochen, also „weeda, guade“ usw. K vor R ist meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang am aussagekräftigsten. Es ist natürlich gemein, aber ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn meine Wiener Kolleginnen und Kollegen erzählen, dass Sie am Wochenende „grang“ (krank) geworden sind. Auch der berühmte „Gaugau“ (Kaukau) fällt in diese Kategorie. Im südbairischen Tirol finden Sie hier quasi das Gegenteil, also einen besonders starken K-Laut wie in „Kchaukchau“. Unsere Daten zeigen allerdings, dass es am Anfang des Wortes bei P und T eigentlich keine starken Unterschiede zwischen dem Mittel- und Südbairischen gibt. Hier ist in der Südsteiermark und in Salzburg gleichermaßen von der „Bolizei“ (Polizei), dem „Beta“ (Peter) oder dem „Domas“ (Thomas) die Rede. Für Nicht-Österreicherinnen und Nicht-Österreicher ist es oft genau diese Konsonantenschwächung, die den gesamtösterreichischen Akzent auch im „Hochdeutschen“ ganz klar ausmacht und zu Verwechslungen beim Koffer und Kuchen „backen“ führt.
Auch das zweite Phänomen existiert nicht nur in den mittelbairischen Dialekten, sondern reicht ebenso in die „höheren“ Register der Standardsprache („Hochdeutsch“): Die Tilgung/Reduktion der Nebentonsilben. Wir befinden uns hier an der Schnittstelle zwischen der Lautung und der Formenlehre (Phonetik/Phonologie und Morphologie). Dazu gehört das Weglassen von „ge-“, beispielsweise sowas wie „i hob ihn kennt“ oder „ich hab' mir das gestern kauft“. Für südbairische Sprecherinnen und Sprecher fehlt hier etwas, das „ge-“ geht in den südbairischen Dialekten (zumindest ursprünglich) nicht einfach verloren, entsprechend heißt es dort „gekennt/gekonnt“ oder „gekaaft/gekauft“. Gerade unter jungen Wienerinnen und Wienern fällt auf, dass diese Silbe auch im mündlichen Hochdeutschen häufig weggelassen wird.
Als eines der wichtigsten Merkmale werden in der alten dialektologischen Literatur oft sogenannte fallende Diphthonge beschrieben, die ganz typisch für das Südbairische sein sollen. Konkret heißt das, dass Wörter wie „böse, groß, Schnee“ (immer mit langem Ö, O oder E) in Tirol, Kärnten und bis in die südlichen Steiermak als „beas, groaß, Schnea“ ausgesprochen werden. Es rutscht also quasi ein A hinein, das im Mittelbairischen nicht vorkommt („bees, grooß, Schnee“). Ihnen ist dies vielleicht im Urlaub in Tirol („oa groaßes Bier, bitte“) oder beim Wandern in Kärnten unter der älteren Bevölkerung begegnet („So a hoacher Berg“), meine Einschätzung ist hier allerdings, dass dieses Phänomen zumindest in Kärnten und der Steiermark stark rückläufig ist und in den Städten bzw. unter der jungen Bevölkerung nur noch geringe bis gar keine Verwendung mehr findet.
Last but not least: Letztendlich möchte ich noch auf die sogenannte L-Vokalisierung eingehen. Das berühmte „Oida!“ dient als hervorragendes Beispiel. Das L wird zum Vokal/Selbstlaut. Im Südbairischen passiert das nicht, dort müssten Sie – sofern nicht aus „Coolheit“ durch die Jugendsprache aus dem Mittelbairischen übernommen – konsequent „Olta!“ hören (auch die mittelbairische Konsonantenschwächung (siehe oben) ist in diesem Wort sichtbar). Weitere Beispiele wären „Woid – Wolt“ (Wald), „Hoiz – Holz/Hulz“, „Marün – Marüln/Mariln“ usw. Im Zusammenhang mit EL und IL haben Sie im Osten Kärntens und in der Steiermark auch „i wüll a Göld“ („Ich will ein Geld“). In der Steiermark spricht man hier vom berühmten Bellen bzw. eigentlich sogar „Bölln“. Ein zusätzliches Detail: Je tiefer man ins „Stoasteirische“ vordringt, desto weiter nach hinten ragt die Zunge beim L. Sie wird nach hinten hin umgeklappt bis sie fast nicht mehr mit der Spitze den Gaumen berührt (phonetisch ausgedrückt: ein retroflexes L), sodass der für Nicht-Steirerinnen und Nicht-Steirern kaum zu imitierende, authentische steirische Klang entsteht („KernÖÖLLL“). Dieses Phänomen ist aber nicht nur spannend, weil es Unterschiede innerhalb der Realisierung des L im Südbairischen gibt, sondern auch, weil über die Art der L-Vokalisierung das Mittelbairische weiter unterteilt werden kann. Man spricht hier von der L-Vokalisierung des Typs Wien, z. B. „vüü, Spüü, Gööd“ („viel, Spiel, Geld“; immer sehr langgezogen), und der L-Vokalisierung des Typs München, beispielsweise in „vui, Spui, Göid“ (normalerweise mit Diphthong/Zwielaut). Beide „Typen“ gehen natürlich weit über die jeweiligen Stadtgrenzen hinaus und gelten als Repräsentanten eines östlichen und eines westlichen Mittelbairischen. Historisch würde man im Westen Oberösterreichs ebenfalls noch den Typ München vermuten, jüngere Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass sich hier die Dialektgrenze schon Richtung Staatsgrenze verschoben hat und der Typ Wien mittlerweile auch in ganz Oberösterreich vorherrschend ist. Im Bundesland Salzburg werden Sie als aufmerksamer Lauscher vielleicht noch einen weiteren Typen hören, nämlich eine Art L-Ausfall, wo „viel, Beispiel, schneller“ beispielsweise als „vie, Beispie, scheia“ realisiert werden. Es steckt also wahnsinnig viel Spannendes in diesem Buchstaben und seiner lautlichen Umgebung!
Oida, des woan voi vüü gritische Daatsachen! Sie haben sich nun bis zum Ende durchgerackert und können jetzt bestimmt mit Leichtigkeit erkennen, dass dieser Satz dem mittelbairischen Dialektgebiet zuzurechnen ist, vermutlich aus dem Osten und vermutlich in der Umgebung von Wien (Wien selbst wahrscheinlich nicht, da der Dialekt dort eher nicht mehr die primäre alltägliche Sprachform darstellt). Man geht außerdem davon aus, dass sich das Mittelbairische Richtung Süden hin ausbreitet. Hätten Sie vor 100 Jahren in der Nordsteiermark vielleicht noch „elfi“ oder „ölfi“ für die Zahl „elf“ gehört, werden Sie heute entweder (Ost-)Mittelbairisch „ööf“ vernehmen oder sogar schon eine Orientierung hin zur Standardsprache feststellen. Probieren Sie es dennoch aus und testen Sie Ihre neu gewonnenen Erkenntnisse doch einmal beim Fernsehen oder Radio (Regionalsender eignen sich sehr), bei Freundinnen und Freunden oder auf der Straße.
Wie klingt das deutsche Deutsch und welche Faktoren spielen auch eine Rolle?
Zuletzt vielleicht noch eine Ergänzung: Streng genommen gibt es in Deutschland weitaus mehr Dialektfamilien als in Österreich – die Angaben schwanken sehr, weil es davon abhängt, was man als eigene Dialektfamilie/Dialektverband zählt. Bairisch, Schwäbisch, Sächsisch, Moselfränkisch, Ripuarisch, Hessisch, „Plattdeutsch“, Brandenburgisch und viele viele mehr – hier müsste man einen eigenen Beitrag schreiben. Zu sagen, dass es das „Bundesdeutsche“, das „deutsche Deutsch“ oder den „Deutschen Dialekt“ gibt, ist also nicht korrekt. Österreich ist in diesem Sinne sogar homogener als Deutschland, wenn auch die Dialekte in Österreich grundsätzlich vielleicht einen besseren Stellenwert genießen als in Deutschland. Und da sind wir bei einem weiteren Thema: Neben dieser theoretischen Dialekteinteilung, die leider zum Teil auf Daten von vor 100 Jahren basiert (Wenkerdaten) und in einigen Punkten sicherlich veraltet ist, müssen in jedem Fall unzählige Faktoren mitanalysiert werden, um zu verstehen, warum jemand in einer bestimmten Situation auf eine bestimmte Art spricht. Faktoren wie Dialektloyalität, allgemeiner Status des Dialekts in der Bevölkerung, Verwendungskontexte (z. B. formell vs. informell), gegenseitige Verständlichkeit, Aussprachevorbilder, Mediensprache, Identität, Spracheinstellungen usw. sind enorm wichtig und machen Sprache zu einem hochkomplexen und gleichzeitig unfassbar spannenden Phänomen. Wir bemühen uns, in unserem Projekt, eine Vielzahl dieser vielen Aspekte aufzugreifen und zumindest für den österreichischen Kontext näher unter die Lupe zu nehmen.
Fußnoten
1 Für den Vergleich unterschiedlicher Dialekte verwendet man oft das Mittelhochdeutsche (ca. 1050-1350) als Bezugssystem. Man vergleicht dann die Laute des Dialekts mit dem historischen mittelhochdeutschen Lautsystem. Das hat den Hintergrund, dass die Dialekte oft alte Sprachzustände konservieren und dem Mittelhochdeutschen häufig näher sind als der Standardsprache („Hochdeutsch“), die ja u. a. dadurch geprägt ist, dass unterschiedliche regionale Einflüsse zur Bildung einer überregionalen „Einheitssprache“ geführt haben.
Die Tonbeispiele stammen aus dem SFB-Projekt "Deutsch in Österreich", Teilprojekt PP03 und PP08 - Wir bedanken uns herzlich für die tatkräftige Unterstützung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Alle Rechte vorbehalten, kein Herunterladen oder Kopieren gestattet.
Beantwortet hat diese Frage:
Mag. Johanna Fanta-Jende
Seit Dezember 2016 im Team des Wiener SFB-Teilprojekts PP03 (Sprachrepertoires und Varietätenspektren). Forschungsschwerpunkte im Bereich der Variations- und Soziolinguistik des Gegenwartsdeutschen mit Fokus auf phonetisch-phonologischer Variation innerhalb des Dialekt-Standard-Spektrums.