Reicht es, deutsche Wörter durch österreichische auszutauschen, um österreichisch zu klingen?

beantwortet von: Gerrit Tscheru

Wie bist du zu der (Forschungs)-Frage gekommen?

Als Kärntnerin, die bereits seit vielen Jahren in der Steiermark lebt, passiert es mir nach wie vor immer wieder, dass Gesprächspartner:innen mich nach einer Äußerung wie Tschurtschel oder Balankatisch belustigt anschauen und feststellen: „Du bist aus Kärnten, gell?“ Mit der Zeit habe ich einerseits gelernt, welche Wörter mich „verraten“ (sogenannte Shibboleths), aber andererseits auch, dass es nicht allein an einzelnen Wörtern liegt, wenn die Leute meine Kärntner Herkunft heraushören. Es würde also nicht ausreichen, wenn ich statt Tschurtschel ,Nadelbaumzapfen‘ und statt Balankatisch ,Tischfußballtisch‘ sagen würde. Vor diesem persönlichen Hintergrund möchte ich die Frage beantworten, warum es auch länderübergreifend nicht ausreicht, nur einzelne Wörter auszutauschen, um „heimisch“ zu klingen.

Welche Methode hast du gewählt? Wie bist du an die Frage herangegangen?

Ich habe mich für eine variationslinguistische Herangehensweise an die Frage und eine Literaturrecherche entschieden. Um die Frage auf fundierter Basis beantworten zu können, habe ich Standardwerke der Variationslinguistik (z. B. das Variantenwörterbuch des Deutschen von Ulrich Ammon et al.) und facheinschlägige Beiträge zum Deutschen in Österreich, Deutschland und der Schweiz in Zeitschriften und Sammelbänden zurate gezogen.

Was sind eigentlich „österreichische“ Wörter?

Wenn das Gspusi trotz gschmackiger Schmankerln grantelt, dann muss man doch in Österreich sein, oder? Nicht unbedingt – auch im Bayrischen sind diese Wörter durchaus gebräuchlich. Andererseits könnte man im Osten Österreichs zu einem Gspusi auch Pantscherl sagen, während man das in Tirol oder Kärnten eher nicht hören wird. Manche Varianten kommen also in länderübergreifenden Gebieten vor, während andere nur in bestimmten Regionen innerhalb eines Landes auftreten. Da dies nicht nur umgangssprachliche Formen wie die oben genannten betrifft, sondern zum Teil auch standardsprachliche Varianten, ist es gar nicht so einfach, Wörter als „österreichisch“ zu klassifizieren. Dazu kommt, dass in Österreich in vielen Fällen verschiedene Varianten nebeneinander existieren und oft abhängig von der jeweiligen Gesprächs- oder Schreibsituation verwendet werden. So könnte zum Beispiel jemand im Lebensmittelgeschäft nach Kartoffeln fragen und zu Hause damit eine Erdäpfelsuppe kochen. Zumindest in Bezug auf die Standardsprache in Österreich gibt es aber Nachschlagewerke wie das „Österreichische Wörterbuch“ oder das Bedeutungswörterbuch „Österreichisches Deutsch“ von Jakob Ebner, mit deren Hilfe man herausfinden kann, ob ein bestimmter Begriff in (Teilen) Österreich(s) gebräuchlich ist. Aber reicht jetzt ein gründliches Studieren und Umsetzen solcher Wörterbücher aus, um österreichisch zu klingen? Kurze Antwort: Nein, weil sich Besonderheiten des Deutschen in Österreich auf allen sprachlichen Ebenen manifestieren. Schauen wir uns das genauer an.

Besonderheiten des Deutschen in Österreich

Wenn von Austriazismen die Rede ist, sind im allgemeinen Sprachgebrauch oft nur Wörter gemeint. Tatsächlich ist es jedoch so, dass das Deutsche in Österreich sich nicht nur in Bezug auf den Wortschatz vom Bundesdeutschen oder vom Schweizerdeutschen unterscheidet. Nehmen wir beispielswiese die Sprachmelodie und die Aussprachegewohnheiten in Österreich. Diese folgen auch im standardsprachlichen Kontext selten der Idealnorm, die vom Duden (2015) und von Siebs (1969) für die deutsche Sprache festgelegt wurde. Je nach Herkunft der jeweiligen Sprecher:innen klingen häufig regionale Aussprachegewohnheiten an, beispielsweise behalten Kärnter:innen oft die typische Dehnung von Vokalen in bestimmten lautlichen Umgebungen bei (z. B. [wi:sn], also ,wiesn‘ für wissen). Zu diesen herkunftsspezifischen regionalen Aussprachegewohnheiten kommen weitere Merkmale, durch die sich die Lautung in Österreich von der Bundesdeutschen unterscheidet.

Beispiele dafür sind der s-Laut am Wort- oder Silbenbeginn, der im Bundesdeutschen regelhaft stimmhaft ausgesprochen wird, während in Österreich die stimmlose Variante gebräuchlich ist (vgl. dazu hier die Aussprache von Sonne von dem Sprecher aus Österreich und der Sprecherin aus Deutschland), oder die Aussprache von Fremdwörtern, die mit st- beginnen: Diese werden in Österreich häufig mit [st] realisiert, während im Bundesdeutschen die Aussprache mit scht- vorherrscht (z. B. Standard vs. Schtandard).

Auch im Bereich der Grammatik gibt es Varianten, die vorwiegend in Österreich gebraucht werden. So wird beispielsweise in Österreich bei Verben, die eine Körperhaltung ausdrücken, im Normalfall das Hilfsverb sein für die Perfektbildung verwendet, während im Bundesdeutschen in diesen Fällen haben vorherrschend ist (z. B. ich bin gesessen/gelegen/gekniet vs. ich habe gesessen/gelegen/gekniet). Andere Beispiele wären Unterschiede bei der Setzung von Fugenlauten, Präpositionen und Artikeln: Während man in Österreich normalerweise einen Schweinsbraten und ein Cola bestellt und zu Weihnachten seinen Adventkalender aufmacht, genießt man in Deutschland Schweinebraten mit einer Cola und öffnet an Weihnachten den Adventskalender.

Neben Wortschatz, Aussprache und Grammatik können auch im Bereich der Redewendungen Unterschiede auftreten: So drückt man beispielsweise in Österreich Gleichgültigkeit mit ghupft wie ghatscht aus, während im Bundesdeutschen in solchen Situationen eher Jacke wie Hose zu hören sein wird.

Bei diesen Besonderheiten auf allen sprachlichen Ebenen muss man immer im Hinterkopf behalten, dass es auf der einen Seite innerhalb Österreichs unterschiedliche Varianten gibt und sich auf der anderen Seite Phänomene, die als österreichisch gelten, auch über die Staatsgrenzen hinaus verbreiten können

Wie schaut’s jetzt aus? Reicht es, deutsche Wörter durch österreichische auszutauschen, um Österreichisch zu klingen?

Langer Rede kurzer Sinn: Nein, es reicht nicht, da einerseits das Deutsche in Österreich Besonderheiten auf allen sprachlichen Ebenen aufweist und andererseits oft gar nicht so klar ist, was ein „österreichisches“ Wort ist, da viele Begriffe entweder auch in Teilen Deutschlands oder nur in bestimmten Regionen Österreichs verwendet werden. Wenn man jetzt Marille statt Aprikose und Grüß Gott statt Guten Tag sagt, klingt man also nicht automatisch „österreichisch“, sondern höchstens weniger auffällig bundesdeutsch. Wie ein oft fälschlicherweise Karl Kraus zugeschriebenes Zitat aus unbekannter Quelle treffend ausdrückt, ist immerhin das, was Österreich und Deutschland trennt, die gemeinsame Sprache.

Literatur

Ammon, Ulrich (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin/New York: de Gruyter.

Ammon, Ulrich/Bickel, Hans/Lenz, Alexandra (Hrsg.) (2016): Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen. 2., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin/Boston: de Gruyter.

Duden (2015): Das Aussprachewörterbuch. Betonung und Aussprache von über 132.000 Wörtern und Namen. 7., kompl. überarb. u. aktualis. Aufl. Berlin: Dudenverlag (= Der Duden in zwölf Bänden 6).

Ebner, Jakob (2008): Duden. Österreichisches Deutsch. Eine Einführung von Jakob Ebner. Mannheim [u. a.]: Dudenverlag.

Siebs, Theodor (1969): Siebs deutsche Aussprache. Reine und gemäßigte Hochlautung mit Aussprachewörterbuch. Hrsg. von Helmut de Boor [u. a.]. 19., umgearb. Aufl. Berlin: de Gruyter.

Wiesinger, Peter (2008): Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte. 2., durchges. und erw. Aufl. Wien/Berlin: Lit (= Austria: Forschung und Wissenschaft. Literatur- und Sprachwissenschaft 2).

Beantwortet hat diese Frage:

Gerrit Tscheru, BA BA MA

Ich bin seit März 2021 als wissenschaftliche Projektmitarbeiterin im SFB-Teilprojekt PP04 (Wien und Graz – Städte und ihre sprachlichen Strahlkräfte) tätig. Meine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Variations- und Soziolinguistik mit Fokus auf (morpho-)syntaktischen Fragestellungen und der Frage nach Gebrauchsstandardformen der gesprochenen Sprache.