Wie sprechen Jugendliche in Österreichs urbanen Zentren?

beantwortet von: Georg Oberdorfer

Wie bist du zur (Forschungs-)Frage gekommen?

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Wissenschaftsfonds FWF hat der gesamte Spezialforschungsbereich „Deutsch in Österreich“ bei der feierlichen Geburtstagsveranstaltung „BE OPEN“ mitgewirkt und Interessierten u.a. die Möglichkeit gegeben, Fragen zu hinterlassen. Mehrere dieser Fragen haben sich um Jugendsprachen (in Österreich oder auch nur Wien) gedreht. Um einigen davon auf den Grund zu gehen, wollen wir kurz von den Jugendsprachen in Österreichs urbanen Zentren erzählen und dabei die Städte Graz und Wien in den Fokus nehmen.

Wie hast du die Daten gesammelt? Wie bist du zu den Infos gekommen?

Bei der Frage nach „Wie sprechen wir?“ (und noch schwieriger „Warum?“) kommen wir bald beim Problem der zu geringen Datenlage an. Aus diesem Grund wurden und werden von uns Korpora (=Sammlungen von Sprachdaten) aufgebaut, die das Sprechen der Österreicherinnen und Österreicher archivier- und abfragbar machen. Das wurde im FWF-Projekt „Jugendsprache(n) in Österreich“ für Jugendliche im Alter von 12-19 in den Hauptstädten der Bundesländer sowie in ruralen Gemeinden Österreichs gemacht. Im Teilprojekt „Wien und Graz – Städte und ihre Strahlkräfte“ des SFBs „Deutsch in Österreich“ wurden Sprechdaten von Personen aus Graz und Wien in ihren 20ern (20-30) erhoben. Diese Personengruppe befindet sich in der Postadoleszenz und stellt den Übergang von Jugendlichen zu Erwachsenen dar. Beiden Gruppen sind auch noch Daten älterer Personen (Erwachsene und Senioren) gegenübergestellt.

Zu welchen Ergebnissen bist du gekommen? Was ist dabei rausgekommen?

Was die jungen Personengruppen in unserer Gesellschaft so interessant macht, ist nicht allein ihr von der alten Generation abweichendes Sprachverhalten, es ist auch der sich ankündigende Sprach(gebrauchs)wandel, der sich an der einen oder anderen Stelle nachzeichnen lässt. Einige dieser Prozesse sind heute schon weitbekannt und besonders cool oder geil ist es daher auch nicht, darüber zu berichten. Andere halten sich beständig seit Jahrzehnten im informellen Sprachgebrauch, scheinen nicht zu verschwinden, aber ebenso noch nicht breitenwirksam zu sein. Zu Testzwecken lässt sich ein kurzes fuck ausrufen – die Hörenden in unmittelbarer Umgebung werden es wohl leichter verzeihen, als man es ursprünglich angenommen hätte. In unseren Daten benutzen es die Jugendlichen und Postadoleszenten, Erwachsene und Senioren nicht – es sei denn, es wird über Jugendliche gesprochen, dann wird es aufgegriffen. Veränderungen im Sprachgebrauch, wie sie über die einzelnen Jugendgenerationen hereinbrechen, sind allgegenwärtig und manche von ihnen schon fast nicht mehr zu erkennen. Immer wieder zeigen uns Analysen des jugendlichen Sprachgebrauchs aber auch das Nicht-Vorhandensein des Sprachverfalls auf, der sonst so gerne an den jüngeren Generationen bemessen wird. Sie müssen nämlich wissen: „Jugendliche können ‚nicht mehr‘ sprechen!“ Und erst Recht keinen Dialekt. Es scheint so, als hätte noch nie in der Menschheitsgeschichte eine junge Generation die alte nicht enttäuscht und ähnlich wie der technologische Fortschritt sind sie Anzeichen des Untergangs. Mit so manchen Aussagen und auch umfassenderen Handlungen wie der Sprachwahl grenzen sich Jugendliche ab. Sie positionieren sich – in der Gesellschaft bzw. in der Welt.

Brauchen Jugendlichen dafür überhaupt Dialekt?

Mag sein, anbieten würde er sich jedenfalls. Der Dialekt ist eine Sprache der Nähe per se und funktioniert gerade deshalb bestens, um Affekt bzw. Einstellung zu veräußerlichen. Für die ländlichen Gebiete gilt der Dialekt nach wie vor als ideale Ressource für die Bricolage, wie das jugendliche Sprachspiel in der Linguistik genannt wird. Die Bricolage lebt von Adaption sowie Verfremdung und kann sich im Dialekt unterschiedlicher Dinge bedienen. Wesentlich für die Verwendung von Dialekt in der Jugendsprache ist dabei allerdings die Bewegung weg von der ursprünglichen Verwendung. Wie diese Unterschiede aussehen, kann ganz verschieden sein, sie dienen aber immer dem Bruch mit dem Erwartbaren und dem Erzeugen von Neuem. Da kann der Tschick (oder doch die Tschick?) schon einmal alles andere bezeichnen, nur nicht die traditionelle Zigarette. Nachdem Jugendsprache auf der präferierten Verwendung von Sprachelementen gegenüber anderen beruht, müssen wir uns zu dialektalen Elementen aber auch immer die Frage nach der Unterscheidung stellen: Ist das jetzt jugendsprachlich oder doch nur dialektal? Die Unterschiede sind oft nur gering. Die Wahl von zach zum Jugendwort des Jahres 2015 ist daher zumindest problematisch. 

Insbesondere in größeren Städten allerdings, wo der Dialekt häufig zu Gunsten einer ausgeglicheneren Umgangssprache bei vielen Sprechenden zurückgeht, muss sich Jugendsprache anders entwickeln, was man auch zeigen kann. In Österreich finden wir diese Entwicklung am deutlichsten in Wien und Graz, den größten urbanen Zentren. Hier weist die junge Generation Verwendungspräferenzen auf, die nicht nur jugendlich anmuten, sondern entgegen allgemeiner Sprachtendenzen laufen. Das heißt, besonders konträr zur Entwicklung der Alltagssprache Erwachsener. Wenn auch lexikalische Beispiele wie nice und swag nachklingen und hellhörig machen (ungeachtet ihrer tatsächlichen Verwendungshäufigkeit), gibt es durchaus mehrere grammatische und auch prosodische Besonderheiten (z.B. Akzent, Intonation, Pausen), die das Sprechverhalten Jugendlicher auszeichnen. Ein Beispiel dafür ist das so statt dem g(e)sagt, das zum Einleiten von Redewiedergabe verwendet werden kann, also: ich so… und dann er so …. Ein fahrma wochenende murpark, das sich von den Präpositionen löst, oder auch die Vielfalt in der tonalen Variation von Oida – sind weitere Beispiele für Merkmale alterspräferentiellen Sprachgebrauchs Jugendlicher in den urbanen Zentren.  

Moment mal, Oida? Eigentlich ist das ja ein Dialektwort und dennoch wird man es häufig in der Bundeshauptstadt (und nicht nur dort) antreffen, insbesondere auch bei Jugendlichen. Während im ländlichen Bereich der Dialekt als Sprache der Nähe affektive Effekte zeigt und somit weiterhin unter den Jugendlichen beliebt ist, kann er in umgangssprachlichen Kontexten in Städten ebenso als Kontrastelement dienen. Auffallen durch Andersartigkeit, quasi. Der Einsatz ganz spezifischer dialektaler Elemente wird zum Mittel persönlichen Ausdrucks. Gleichzeitig dient Dialekt zur Verortung und Identifikation. Jugendliche zeigen expressiv: do samma dahaam oder eben dahoam. Das sprachliche Repertoire, aus dem sie schöpfen, ist groß, die jugendlichen Ausdrucksmittel demnach vielfältig und zu Teilen wohl auch Zeichen eines Sprach(gebrauchs)wandels. Welche sich aber durchsetzen werden, muss die Zeit zeigen … 

Beantwortet hat diese Frage:

Georg Oberdorfer Bakk.phil. MA

Seit Jänner 2018 im Team des Grazer SFB-Teilprojekts PP04 (Wien und Graz – Städte und ihre sprachlichen Strahlkräfte). Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Jugendsprachforschung, Interaktionalen Soziolinguistik, Varietätenlinguistik und Referenzlinguistik.