Wie teilt man Dialekte ein?
beantwortet von: Johanna Fanta-Jende
Welche Methode verwendet(e) man zur Dialekteinteilung?
Bevor ich die Dialektregionen in Österreich vorstellen kann, möchte ich gerne noch kurz erklären, wie man überhaupt (historisch) zu dieser Einteilung gekommen ist.
Es ist wichtig über die Geschichte der Dialekteinteilung zu schreiben, weil man einerseits die verwendete Methode durchaus kritisch betrachten kann und andererseits immer vor Augen halten muss, dass Sprache etwas sehr Individuelles ist und sich ständig verändert. Einige der genannten Merkmale sind heute also in den Städten zum Beispiel schon nicht mehr vorhanden oder werden individuell nicht mehr verwendet. Denken Sie deshalb während des Lesens auch bitte immer ein bisschen an Ihre Großeltern oder andere ältere Leute, wie diese sprechen bzw. gesprochen haben.
Die ersten großangelegten Dialekteinteilungen wurden von einem deutschen Sprachwissenschaftler namens Georg Wenker vorgenommen. Dieser hatte die Idee, ab 1876 über 50.000 Fragebögen im gesamten deutschsprachigen Raum auszuschicken. Seine Adressaten waren Lehrer (damals noch ein hauptsächlich männerdominierter Beruf) an städtischen und ländlichen Schulen, die aufgefordert wurden, einzelne Wörter und Sätze in ihren Ortsdialekt zu „übersetzen“ und aufzuschreiben. Später sind diese als die berühmten 40 „Wenker-Sätze“ in die Geschichte der Sprachwissenschaft eingegangen. Da das Aufzeichnen von Ton zu dieser Zeit noch nicht möglich war, wurden die Lehrer gebeten, Satz für Satz schriftlich zu übersetzen. Oft halfen ihnen auch die SchülerInnen, wenn der Lehrer selbst nicht aus dem jeweiligen Schulort war. In Österreich fand die Erhebung zwischen 1926 und 1933 statt und umfasste mehr als 3.600 Bögen. In entsprechenden Nachfolgeprojekten Digitaler Wenkeratlas und REDE wurden alle Wenkerbögen digitalisiert und man kann sich sowohl die Projektbeschreibung als auch die einzelnen Bögen im Detail anschauen. Überprüfen Sie doch einmal, ob es zu Ihrem Ort einen Wenkerbogen gibt. Können Sie die Kurrentschrift entziffern und die „typischen“ Merkmale für Ihren Ort identifizieren?
Auf Basis der übersetzten Einzelwörter und 40 Sätze pro Bogen entstanden dann die ersten Dialektkarten. Ziel war ein gesamter „Sprachatlas des deutschen Reichs“. Indem ein Lehrer in Wien „haaß“ für heiß schrieb und ein anderer in Tirol hoaß verschriftlichte, konnten die unterschiedlichen regionalen Strukturen in mühsamer Kleinstarbeit herausgearbeitet werden. Natürlich bringt das Verschriftlichen von mündlicher Sprache aber auch viele Schwierigkeiten mit sich, da es beispielsweise nicht genügend Zeichen gibt (z. B. Wie schreibt man ein gerolltes R oder die Mischung zwischen O und A, die für unsere Dialekte so typisch sind, z. B. „i hob - ich habe“?). Auch die Eigenheiten des einzelnen Lehrers, der vielleicht selbst nicht aus dem Ort stammt, oder auf bestimmte Elemente besonders wert legt und andere vergisst (weil sie ihm nicht auffallen) stellen Schwierigkeiten dar. Schließlich ist ein weiterer Kritikpunkt, der nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Verschriftlichung der Dialekte in den Wenkersätze hauptsächlich auf die Laute und die Aussprache, also die Phonetik/Phonologie, abzielte, während der Satzbau (Syntax) zum Beispiel kaum berücksichtigt wurde. Eine Erklärung dafür, wäre, dass die übersetzenden Lehrer – die ja auch durch ihren Beruf besonders auf möglichst „korrekte“ Sprache achten - möglicherweise von den vorgegebenen "Hochdeutsch"-Sätzen zu sehr beeinflusst waren. Der Wenkersatz 24 lautet zum Beispiel "Als wir gestern Abend zurückkamen, da lagen die anderen schon im Bett und waren fest am schlafen." Für eine "gute" Übersetzung in den Dialekt muss man vor allem in der Satzstellung (Syntax) recht viel umstellen, ein Beispiel wäre: "Wie ma gestern auf d' Nocht zruckkummen san, san de ondern schon im Bett glegn und hom fest gschlofn." Die Vorgaben der alten Wenkersätze könnten bei manchen Übersetzern also auch irritiert haben.
Nichtsdestotrotz greifen wir bis heute in der Sprachwissenschaft auf diesen wertvollen Datenschatz zurück, um Vergleiche zu damals anzustellen und so die Veränderungen von Sprache festhalten zu können. Sogar die meisten aktuellen Dialektkarten Österreichs (z. B. die berühmten Wiesinger Ergänzungskarten) basieren auf den Wenkerbögen und spiegeln damit einen Sprachstand von vor 100 Jahren wider. Eine flächendeckende Neuauflage fehlt bislang, es gibt viele interessante Bundesland-Projekte, beispielsweise der Sprachatlas von Oberösterreich (SAO), der Tirolischer Sprachatlas, der Vorarlberger Sprachatlas mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein, Westtirols und des Allgäus (VALTS) oder die jüngeren Projekte von Hannes Scheutz zu Salzburg und Südtirol. In diesem Sinne ist es eine erklärte Aufgabe unseres Projekts (Teilprojekt PP02), die Dialektkarten zu aktualisieren und durch einen „sprechenden“ Sprachatlas mit anklickbaren Tonbeispielen für alle zugänglich zu machen.
Wie teilt man nun Dialekte ein?
Eine Dialekteinteilung ist natürlich nicht so leicht, weil man ja wissen muss, wo man die Grenzen zieht. Gerade Berge und Flüsse stellen oft natürliche Sprachgrenzen dar, die häufig tatsächlich dazu geführt haben, dass beispielsweise die BewohnerInnen eines Tales (zumindest gefühlt) ganz anders sprechen als die BewohnerInnen des Nachbartales. Man müsste nach so einer Vorstellung also tausende unterschiedliche Dialekte – gerade im gebirgigen Westen Österreichs – definieren, meistens ist es aber so, dass sich die Unterschiede auf ein paar wenige Merkmale beschränken und man trotzdem grobe gemeinsame Strukturen erkennen kann. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten und der geografischen Verortung werden Dialekte in Dialektregionen zusammengefasst.
Welche Dialektregionen gibt es in Österreich?
In Österreich gibt es zwei große Dialektfamilien: Das Bairische – mit ai geschrieben – im Großteil des Landes und das Alemannische. Beide gehören zu den oberdeutschen Dialekten (im Gegensatz zu mitteldeutschen und niederdeutschen Dialekten, die auch in Mittel- und Norddeutschland zu finden sind). Das Alemannische ist in erster Linie auf Vorarlberg beschränkt, hier stellt der Arlberg eine physische Sprachgrenze dar. Diese Dialektgrenze erklärt, warum es zu den häufigen Kommunikationsproblemen zwischen „Gsi-Bergern“ und „Restösterreichern“ kommt. Darüber hinaus gehören aber auch kleine Teile Tirols im Bezirk Reutte bzw. Außerfern und im Bezirk Landeck zum alemannischen Dialektraum. Selbstverständlich gibt es auch einen Übergangsbereich, wo Elemente beider Dialektfamilien zusammenkommen, hier geht man jedoch davon aus, dass das Bairische das Alemannische langsam verdrängt. Außerdem hört keine der beiden Dialektfamilien einfach direkt an der österreichischen Grenze auf, so setzt sich das Bairische in Bayern oder in Südtirol fort, während auch die deutschsprachige Schweiz und das Schwäbische in Bayern oder Baden-Württemberg zum Alemannischen gezählt werden können.
Beide Dialektfamilien kann man jetzt noch weiter (und weiter und weiter) aufspalten. Der alemannische Raum ist dabei besonders divers und kleinräumig (für Vorarlberg erfolgt die Einteilung meist in Bodensee-, Hoch- und Höchstalemannisch, wobei sich „hoch“ und „höchst“ auf die gebirgigen Höhen bezieht), sodass ich eher auf die groben Unterteilungen im Bairischen eingehen möchte: Hier wird also von Nord nach Süd zwischen Nordbairisch (v. a. in Franken, nicht in Österreich), Mittelbairisch und Südbairisch unterschieden. Das Mittelbairische reicht von München bis Wien und umfasst damit in Österreich vor allem die Bundesländer Ober- und Niederösterreich, Wien und das nördliche Burgenland. Das Südbairische erstreckt sich hauptsächlich von Tirol über Kärnten bis in die südlichen Teile der Steiermark. Dazwischen befindet sich eine Übergangszone, die auch als das Süd-/Mittelbairische Übergangsgebiet bezeichnet wird (v. a. in Teilen Salzburgs und der Steiermark sowie im Großteil des Burgenlands), das sich sowohl aus Elementen des Südbairischen als auch des Mittelbairischen zusammensetzt.
Diese grobe Dialekteinteilung bedeutet nicht, dass alle Sprechenden innerhalb der gleichen Dialektfamilie absolut gleich sprechen, vielmehr gibt es eine Reihe an vornehmlich phonologischen Merkmalen, auf die diese Einteilung zurückgeht. Dennoch gibt es natürlich innerhalb der jeweiligen Familie immer noch sehr viele kleinregionale Unterschiede.
Wie die österreichischen Dialekte klingen erfährst du hier.
Beantwortet hat diese Frage:
Mag. Johanna Fanta-Jende
Seit Dezember 2016 im Team des Wiener SFB-Teilprojekts PP03 (Sprachrepertoires und Varietätenspektren). Forschungsschwerpunkte im Bereich der Variations- und Soziolinguistik des Gegenwartsdeutschen mit Fokus auf phonetisch-phonologischer Variation innerhalb des Dialekt-Standard-Spektrums.