Warum fühlen sich Österreicherinnen und Österreicher oft ‚verstandener‘, wenn jemand bei einer Hotline mit ihnen ‚Österreichisch‘ spricht?

beantwortet von: Barbara Soukup

Wie bist du zur (Forschungs-)Frage gekommen?

Ganz ehrlich: Zu dieser Forschungsfrage komme ich als Österreicherin selbst jedes Mal, wenn ich bei einer Hotline anrufe. (Wir nehmen mal an, dass die Frage aus Sicht von einer Person aus Österreich gestellt ist, die selber so redet wie die Person am anderen Ende der Hotline.)

Es geht hier zentral um die Wirkung von Sprache – also um das, was über die bloße Wortbedeutung hinausgeht, aber auch von Sprache als ‚Gepäck‘ mittransportiert wird. Wenn ich bei einer Hotline anrufe und die Person am anderen Ende in einer von mir als ‚Österreichisch‘ identifizierten Sprechweise antwortet, dann wirkt das anders auf mich, als wenn es ein anderer (wie auch immer von mir eingeordneter) Akzent ist. An der Problematik kommt man auch nicht vorbei – schließlich muss jeder Mensch beim Reden irgendeine Sprechform auswählen!

Konkretisieren wir aus dieser Perspektive die Forschungsfrage noch wie folgt: Wie wirkt eine österreichische Sprechweise auf österreichische Anrufende bei einer Hotline?

Wie wirkt Sprache?

Ein großer, oft unterschätzter Anteil an Kommunikation passiert überhaupt nicht inhaltlich über die gesprochenen Worte, sondern über die Sprechweise. Der amerikanische Soziolinguist Dell Hymes hat es auf den Punkt gebracht: Wie etwas gesagt wird ist immer ein Teil dessen, was gesagt wird.1 Der Grund dafür ist, dass wir Kommunikation ganzheitlich betreiben – sie findet ja immer in einem Kontext statt (Wer redet? Wie? Mit wem? In welcher Situation? Zu welchem Zweck? Unter welchen Voraussetzungen?).

Und diesen Kontext beziehen wir automatisch als Information in die Erfassung des Gesagten mit ein, ob wir wollen oder nicht. In der Kommunikation sind wir Multitasker – wir ‚hören‘ und ‚sprechen‘ auf vielen Ebenen gleichzeitig und mischen uns die Bedeutung daraus zusammen. Eine dieser Ebenen ist die Sprechweise (Sprache, Akzent, Stil). Sie wird immer in die Interpretation mit einbezogen und unweigerlich als Information mitverarbeitet. So entfaltet die gewählte Sprachform ihre Wirkung in einem Gespräch.

Wie bist du an die Frage rangegangen?

Der Zugang, den ich gewählt habe, ist eine Mischung aus ‚kognitiver Soziolinguistik‘ und ‚Spracheinstellungsforschung‘.

Die kognitive Soziolinguistik erklärt uns, dass und wie wir geistig von einer gehörten Sprechweise auf eine Gruppe von Menschen schließen, die so spricht. Das passiert nämlich über ein ‚pars-pro-toto‘ Denkmuster (‚ein Teil steht für das Ganze‘) in Kombination mit einem ‚Produkt-Produzierende‘- Denkmuster.2 Zunächst ordnen wir einzelne sprachliche Merkmale (‚Teile‘) einer bestimmten sprachlichen ‚Gesamtheit‘ (Varietät/Dialekt, Sprache, Stil) zu. Danach schließen wir von dieser sprachlichen Gesamtheit als ‚Produkt‘ zurück auf ihre ‚Produzierenden‘, nämlich die Gruppe von Menschen, die (unseres Wissens) üblicherweise so sprechen.

Die Spracheinstellungsforschung erhebt dann empirisch (forschungspraktisch) den eigentlichen Inhalt der Assoziationen, die wir mit einer bestimmten Sprechendengruppe verbinden, und die dann (siehe oben) als kontextuelle Information in unsere Gesprächsinterpretation einfließen.

Mein Erklärungsweg verläuft nun also so: Jemand aus Österreich hört am anderen Ende der Telefonhotline ein Merkmal einer österreichischen Sprechweise und schließt daraus, dass die Person aus Österreich ist.

Welche sozialen Assoziationen (‚Spracheinstellungen‘) wird der/die Anrufende denn nun mit dieser Person verbinden? Wenn wir die Assoziationen kennen, wissen wir auch Bescheid, welche Informationen in die Einschätzung einer vermeintlich ‚Österreichisch‘ sprechenden Person am anderen Ende einfließen – sodass jemand sich dann ‚verstandener‘ fühlt. Dazu braucht’s aber jetzt endlich Daten.

Welche Daten und Informationen hast du gesammelt und wie?

Sprecherinnen und Sprecher aus Österreich erkennen einander – soweit sind wir ja schon, und es könnte bereits aufgrund der gemeinsamen nationalen Gruppenzugehörigkeit eine Verbundenheit geben. Allerdings sagt uns das noch nichts über die emotionale Wertung dieser Verbundenheit aus – und sich ‚verstandener fühlen‘ entsteht wohl vorrangig auf Basis eines positiven Beziehungsgefühls. Wir müssen also herausfinden, welche eindeutig positiven Assoziationen ‚Österreichisch‘ bei Personen aus Österreich hervorruft – etwa Sympathie, Natürlichkeit, Vertrautheit, ‚Schmäh‘...?

Darum habe ich Spracheinstellungsstudien gesucht, die Einschätzungen von österreichischen Akzenten durch Österreicher und Österreicherinnen zum Thema haben.3 Die gesammelten Informationen habe ich miteinander abgeglichen, um eine Synthese (Zusammenschau) daraus zu ziehen, die sich auf jene Punkte konzentriert, die für unsere Forschungsfrage wesentlich sind.

Zu welchen Ergebnissen kommen die Spracheinstellungsstudien? Was ist dabei rausgekommen?

Tatsächlich ist die Anzahl einschlägiger Studien überschaubar – es gehört noch viel geforscht! Aber die vorhandenen kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen, die daher auch überzeugend sind.

Zusammenfassend: Es gibt wissenschaftliche Hinweise darauf, dass das Deutsch in Österreich gegenüber dem Deutsch in Deutschland von Österreicherinnen und Österreichern unter anderem als sympathischer, weicher, weniger arrogant, herzlicher, gemütlicher, freundlicher und vertrauter wahrgenommen wird.4 Auf der emotionalen Ebene finden sich also sehr positive Assoziationen. Je eindeutig und regional ‚österreichischer‘ es wird – also, wenn wir österreichischen Dialekt mit Standardsprache vergleichen – umso höher werden die Werte für Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Gemütlichkeit, Humor, Natürlichkeit, Sympathie und Vertrautheit.5

Es gibt auch vergleichsweise negative Assoziationen – insbesondere im Hinblick auf Status- und Kompetenz-Wertungen (Bildung, Intelligenz, Vornehmheit, Korrektheit, Verständlichkeit) ‚verlieren‘ eindeutig österreichische Sprachformen gegenüber überregionalem Standarddeutsch und deutschem Deutsch (laut denselben Studien). Dieses Bedeutungsfeld ist allerdings für unsere gegenwärtige Forschungsfrage nur wenig relevant – sich ‚verstandener fühlen‘ beruht, wie ich behaupte, in geringem Maß darauf, dass man das Gegenüber als gebildet einschätzt; sondern vielmehr darauf, dass man es als freundlich, sympathisch und vertraut einschätzt.

Warum fühlen sich Österreicherinnen und Österreicher oft verstandener, wenn jemand bei einer Hotline ‚Österreichisch‘ mit ihnen spricht?

Die Spracheinstellungsforschung liefert die ausständige Etappe zu meinem Erklärungsweg. Jemand aus Österreich identifiziert am anderen Ende einer Hotline anhand sprachlicher Merkmale ein österreichisches Gegenüber. Dadurch werden Vorstellungen von gemeinsamer Gruppenzugehörigkeit aber auch Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Sympathie, Vertrautheit etc. erweckt. Eine positive Erwartung entsteht für das Gespräch – hier wird man sich zunächst mal wohlfühlen – eben ‚verstanden‘. Wie’s weitergeht und ob das so bleibt, hängt dann natürlich vom tatsächlichen Gesprächsverlauf ab – aber ein erfreulicher Ersteindruck ist mal eine gute Basis für ein positives Gesprächsklima.

Hast du durch die Recherche selbst etwas Neues gelernt oder mitgenommen? Was würdest du anderen raten?

Halten Sie die Augen offen und überprüfen Sie manchmal Ihre Spracheinstellungen. Sie sind ein Automatismus - man kann nicht ohne sie (auch ich nicht!) – aber sprachliche Ersteindrücke können auch in die Irre führen.

Im Fall unserer Forschungsfrage heißt das: Die Kehrseite der Medaille des Wohlgefühls ist die sprachliche Diskriminierung – manche Akzente führen zu einer Abwertung des Gegenübers. John Baugh in den USA und andere haben eindrucksvoll die Auswirkungen belegt – von schlechteren Bewertungen im Schulunterricht und bei Einstellungsgesprächen bis zur Verweigerung einer Mietwohnung oder einer härtere Gefängnisstrafe für Menschen mit bestimmten Akzenten (in den USA: Latinx und African American English; bei uns: Was meinen Sie?). Die Wechselbeziehung von Sprache und ihrer Wirkung ist ein grundlegendes Kommunikationsprinzip, das aber auch bewusst gemacht gehört, um Vorurteile auszuhebeln.6

Also: Das Wichtigste ist immer noch ein offener Geist, um zu verstehen und sich verstanden zu fühlen.

Fußnoten

1 Hymes, Dell (1972): Models of the interaction of language and social life. In Gumperz, John / Hymes, Dell (Hg.):Directions in Sociolinguistics: The Ethnography of Communication. New York: Holt, Rinehart and Winston, 35-71.
Originalzitat: “how something is said is part of what is said” (Hymes 1972: 59).

2 Die kognitive Soziolinguistik bezeichnet beide Denkmuster (‘Schemata’) als ‘Metonymien’ (siehe: Kristiansen, Gitte (2008): Style-shifting and shifting styles: A socio-cognitive approach to lectal variation. In Kristiansen, Gitte / Dirven, René (Hg.), Cognitive sociolinguistics. Berlin: M. de Gruyter, 45-88.).
Das Duden Universalwörterbuch (online Version) definiert ‚Metonymie‘ als „Ersetzung des eigentlichen Ausdrucks durch einen andern, der in naher sachlicher Beziehung zum ersten steht (z.B. Stahl statt Dolch)“. Die Idee der kognitiven (Sozio)Linguistik ist, dass wir uns im Zuge unserer sprachlichen Interpretationsprozesse auf solche Weisen blitzschnell und assoziativ in unseren neuronalen Netzen von Bedeutung zu Bedeutung voran hanteln.

3 Weil ich mich schon sehr lange mit der Thematik beschäftige, sind mir die meisten solcher Studien, die es gibt, bekannt (und einige habe ich selber durchgeführt). Ich habe also zunächst meinen eigenen ‚Fundus‘ an Studien, Artikeln, Buchkapiteln, Büchern, Dissertationen etc. konsultiert und dann noch mit einer Suche in den Beständen der Universitätsbibliothek Wien ergänzt und aktualisiert.

4 Siehe: Kaiser, Irmtraud (2006): Bundesdeutsch aus österreichischer Sicht. Eine Untersuchung zu Spracheinstellungen, Wahrnehmungen und Stereotypen. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache.
Blauensteiner, Irena (2019): Plurizentrik des Deutschen – Plurizentrikbewusstsein und Einstellungen der ÖsterreicherInnen zu österreichischem und bundesdeutschem Deutsch. Diplomarbeit, Universität Wien.

5 Siehe, mehrere Studien zusammenfassend: Soukup, Barbara (in Druck): Über die empirische Spracheinstellungsforschung in Österreich. In Pucher, Michael (Hg.): Akustische Phonetik und ihre multidisziplinären Aspekte. Ein Gedenkband für Sylvia Moosmüller. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

6 Siehe dazu z.B. John Baughs TEDx Vortrag (in Englisch).

Beantwortet hat diese Frage:

Ass.-Prof. Mag. Dr. Barbara Soukup, MSc

arbeitet und forscht ander Universität Wien. Sie ist seit 2014 FWF-Elise Richter Research Fellow, als PI des Satellitenprojekts ELLViA („ELLViA – English in the Linguistic Landscape of Vienna, Austria“; FWF Projektnummer V394-G23). Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Spracheinstellungen, soziolinguistische Variation, Linguistic Landscape Study, Perzeptionslinguistik und interaktionelle Diskursanalyse.